Die neue Regiearbeit von Alien- und Blade Runner-Vater Ridley Scott wird als der Film in die Geschichte eingehen, aus dem Kevin Spacey herausretuschiert wurde. Das ist schade. Denn auch ohne diese unfreiwillige Publicity hätte „Alles Geld der Welt“ als Thriller um die Entführung des Milliardärs-Erben John Paul Getty III. gebannte Zuschauer, volle Säle und einige Auszeichnungen verdient – nicht zuletzt für die mehr als überzeugende Leistung des in letzter Sekunde eingewechselten Schauspielurgesteins Christopher Plummer in der Rolle des knausrigen Tycoon-Großvaters.

 

# MeToo und gefallene Heroen

Aber zunächst hatte Scott Spacey als Jean Paul Getty besetzt. Und es kam, wie es mittlerweile ein ums andere Mal kommentiert worden ist. Kurz vor Fertigstellung des Films zerrten die im Zuge der #MeToo-Kampagne geäußerte Vorwürfe des jungen Schauspielers Anthony Rapp die mutmaßlichen sexuellen Übergriffe des Hollywood-Titanen Spacey ins Licht der Öffentlichkeit. Weitere Anschuldigungen folgten, und Scott musste reagieren. Er entschied, mit Plummer nachzudrehen, um Schaden vom Film und den daran Beteiligten abzuwehren.

Zur Frage der damnatio memoriae, der Verdammung des Andenkens gefallener Heroen, kann man so oder so stehen. Man kann sie im Sinne der Opfer begrüßen, oder sie, wie Claudius Seidel in der FAZ, für heuchlerisch halten und sich darüber wundern, dass auf Seiten der Branche bis zur Enthüllung niemand von irgendwelchen Verfehlungen gewusst haben will.

Oder man findet, dass das Publikum selbst entscheiden können sollte, wer ihm in welcher Rolle zuzumuten ist. Das allerdings birgt für Studios und Finanziers das Risiko, dass die Zuschauer sich gegen den Film entscheiden könnten. Und das wiederum kostet – Geld.

 

Geld, Macht, Unheil

Womit wir beim Thema sind. Denn was der mittlerweile 80jährige Ridley Scott hier im Gewand einer opulenten und mitreißenden True-Crime-Erzählung vorlegt, ist von Anfang bis Ende auch eine Reflexion – oder vielleicht eher noch: Improvisation – über Geld, Macht und das Streben nach Kontrolle, aus dem sich wie in der griechischen Tragödie Unheil und Einsamkeit speisen.

Alles beginnt in Anlehnung an Fellinis Meisterwerk „La Dolce Vita“ (1960) zunächst in Schwarzweiß. Eine Erzählstimme, die dem sechzehnjährigen Getty-Erben Paul (Charlie Plummer, mit Christopher Plummer nicht verwandt) zuzuordnen ist, begleitet dessen Streifzug durchs nächtlich sündige Rom des Jahres 1973. Sie informiert darüber, dass die nachfolgenden Geschehnisse für normale Menschen, will heißen: Nicht-Extrem-Reiche, unter Umständen schwer verständlich sein könnten.

Denn: „Mein Großvater war nicht nur der reichste Mann der Welt. Er war der reichste Mann der Weltgeschichte. Wir sehen aus wie ihr, aber wir sind nicht wie ihr.“

 

Worin der Unterschied zwischen Gettys und Normalsterblichen besteht, macht der Großvater-Tycoon im Folgenden immer wieder klar. Erstens erkennt er den Wert von Dingen oder Beziehungen unbestechlicher als andere und weiß ihn zu seinen Gunsten zu nutzen; zweitens hat er verstanden, dass das Geheimnis immensen Reichtums nicht darin besteht, reich zu werden, sondern es zu bleiben.

Einiges von seinem Wissen gibt er bei Ausflügen ins Colosseum gern an dem durchaus geliebten Enkel weiter. Dennoch verwundert es kaum, dass er auf der anderen Seite keineswegs bereit ist, die geforderten 17 Millionen Dollar Lösegeld zu bezahlen, als Paul von römischen Gangstern entführt wird. Schließlich ist weder ganz auszuschließen, dass es sich um eine Inszenierung Pauls handelt, um an sein Geld zu kommen, noch ließe sich verhindern, dass die Zahlung einen Präzedenzfall in Hinblick auf seine weiteren 13 Enkel schafft.

Die Verhandelbarkeit von allem und der Schmerz

Stattdessen stellt er Pauls geschiedener Mutter Gail Harris (Michelle Williams) seinen Sicherheits-Chef als Berater zur Seite. Der von Mark Wahlberg verkörperte Ex-CIA-Mann Fletcher Chace geht dabei zunächst von einem Denkansatz aus, der dem seines Auftraggebers recht ähnlich ist: Alles ist verhandelbar. Worum es geht, ist allein, den richtigen – niedrigsten – Preis zu finden und den Zeitpunkt zu nutzen, an dem der Gegner schwach und verwundbar ist.

Wie verwundbar jedoch vor allem das Entführungsopfer ist, wird in einer Ära, in der es noch kein Internet und keine Mobiltelefonie gibt, erst nach bangen Wochen klar: nämlich in dem Moment, als die ursprünglichen Gangster Paul an die kalabrische ‚Ndrangheta verkauft haben. Die lässt ihm von einem ins System eingebundenen Arzt ein Ohr abschneiden und schickt es an eine römischen Zeitung, die Harris und Chace kontaktiert.

Harris hat mittlerweile ihre Lektion von Chace gelernt: Als Gegenleistung für das Recht, die News zu bringen, trotzt sie der Zeitung eintausend Exemplare des betreffenden Titels ab und schickt sie ihrem Ex-Schwiegervater, um ihn zum Umdenken zu bewegen.

Obwohl man von vornherein wissen kann, wie die Entführung ausgehen wird, verliert der Film in 132 Minuten Laufzeit nicht an Spannung. Insbesondere Michelle Williams gelingt es, ihren Kampf gegen zwei Empire – das der Gettys und das der Mafia – reich an Nuancen zu gestalten. Und Christopher Plummer scheint die Rolle des geizigen Alten (der auf die Frage, wie viel mehr er braucht, bis er sich endlich sicher fühlen kann, nur die Antwort „Mehr“ kennt) direkt auf den Leib geschneidert. Zu recht werden beide als Anwärter für die großen Preise des laufenden Kinojahres gehandelt.

Regieveteran Sir Ridley Scott ist so unabhängig von allen anderen Diskussionen ein routiniertes bis grandioses Spätwerk geglückt. Vielleicht kein cineastischer Meilenstein, aber in jedem Fall ein intelligenter und packender Thriller, der wie nebenbei über einige grundsätzliche Mechanismen der Welt, in der wir leben, Auskunft gibt, ohne zu belehren.

 

Alles Geld der Welt, Regie: Ridley Scott, mit Michelle Williams, Christopher Plummer, Mark Wahlberg, Charlie Plummer, Roman Duris, Timothy Hutton u. a. (132 min)

Bild: Tobis

Kinostart: 15.2.2018