Ein trister Küstenort in Massachusetts als Gegenbild zum Counterculture-Entwurf der Sixties: William Oldroyds Verfilmung von Ottessa Moshfeghs Bestseller „Eileen“ schildert die Ankunft von Glamour und weiblicher Intelligenz in der amerikanischen Provinz, weiß dann aber nicht so recht, wohin damit.

Eileen (Thomasin McKenzie, li.) und Rebecca (Anne Hathaway) freunden sich an. Foto: Universal Pictures

Ein Leben im Trüben

Die USA in den 1960er Jahren: Das klingt nach Landschaft und Licht, nach Gegenkultur, Sozial- und Drogenexperimenten, nach Emanzipation und Protest gegen den Vietnamkrieg. Daran, dass diese mythische Mischung nur für eine Minderheit der weißen Bevölkerung die bestimmende Lebenskulisse abgab, erinnert der stylische Retro-Thriller „Eileen“ von Regisseur William Oldroyd. Der spielt im Winter an der Atlantikküste im provinziellen Bundesstaat Massachusetts. Hier lebt die Protagonistin Eileen Dunlop (Thomasin McKenzie) von einer trüben Woche zur nächsten.

Einmal bereits hat sie den Ausbruch gewagt und anderswo im Land das College besucht. Dann aber musste sie vorzeitig nach Hause zurückkehren, als ihre Mutter schwer erkrankte. Seit deren Tod verbringt sie ihre Tage allein mit ihrem alkoholkranken, verbiesterten Vater Jim (Shea Whigham), dem ehemaligen Polizeichef des Ortes. Sie selbst arbeitet in einer Vollzugsanstalt für jugendliche Straftäter: keine gute Umgebung für eine junge Frau, wie es später heißen wird.

Da es sonst nichts zu tun gibt, gibt sie sich – vorzugsweise inmitten dreckigen Schnees – Träumereien hin, die entweder explizit erotische Inhalte haben oder darum kreisen, sich oder andere umzubringen. Insbesondere der Fall des Vatermörders Lee Polk (Sam Nivola), der in ihrer Anstalt einsitzt, dient ihr hierfür als Vorlage. Dann jedoch ändert sich alles mit dem Auftauchen der neuen Gefängnispsychologin Rebecca Saint John (Anne Hathaway). Mit ihr hält mehr als nur ein Hauch von Glamour und Modernität Einzug in die Welt von Eileen. Zu ihrer freudigen Überraschung scheint die Anziehung zwischen den beiden Frauen auf Gegenseitigkeit zu beruhen.

Freundschaft und Grenzen

Bestimmen anfangs dunkle oder triste Bilder in grobkörniger Optik den Alltag der Figuren, kehren nun Farben ein: Eileen beginnt, sich für die Treffen mit Rebecca herauszuputzen. Sie pflegt und schminkt sich und wählt aus der Garderobe ihrer Mutter immer exzentrischere Mäntel und Kleider aus. Eine Verabredung zum Trinken in der Bar des Ortes mit ihrer neuen Freundin führt geradewegs in den Exzess verbotener Tänze und neuer Schwärmerei. Am selben Abend kommt es zu ersten realen Handgreiflichkeiten gegen die konservative männliche Dominanz, die sie umgibt.

Aus der beginnenden Freundschaft entspinnen sich weitere Träume von einem besseren Leben. Ihrer Umsetzung sind jedoch nicht nur durch die Engstirnigkeit der Umgebung Grenzen gesetzt. Auch Eileens eigene Dispositionierung lässt Solidarisierung, Gemeinsamkeit und Vertrauen nur bedingt zu.

Die Phase der Annäherung der Frauen erzählt der Film mit Witz und Drive; dann jedoch ändert sich unvermittelt der Ton. In einer plötzlichen Wende wird aus der Coming-of-Age-Erzählung mit sozialpsychologischer Grundierung ein Pulp-Thriller. Denn Rebecca, deren Methoden darauf abzielen, die ihr anvertrauten Delinquenten des Jugendgefängnisses nicht zu bestrafen, sondern zu verstehen, verstrickt sich immer tiefer im Fall von Lee Polk.

Aus dem Ruder laufende Gerechtigkeitsfantasien

Aus ihrem Wunsch, die Wunden aus der Vergangenheit ihres Schützlings zu heilen, erwächst mit einem Mal ein Rachefeldzug, in den sie Eileen mit hineinzieht. Zunächst widerwillig, dann aber immer entschlossener nutzt Eileen diese Gelegenheit, ihre verbotenen Träume bis zur letzten Konsequenz umzusetzen.

Bereits in seinem Debütfilm „Lady Macbeth“ ließ William Oldroys seine Hauptfigur an ihrer erdrückenden Umwelt Rache nehmen. Auch seine Adaption des internationalen Bestsellers „Eileen“ überzeugt zunächst durch die atmosphärische Umsetzung: Dem Geist der Zeit entsprechend fährt man sehr viel mit dem Auto durch die Dunkelheit; etliche Songs aus den Sixties werden zur Gänze ausgespielt. Das Zusammenspiel der beiden auf Augenhöhe agierenden Hauptdarstellerinnen fällt bestechend aus.

Mit dem Registerwechsel ins Thrillerfach sind dann aber augenscheinlich nicht nur die Charaktere selbst überfordert. Auch das von der Romanautorin Otessa Moshfegh mitverfasste Drehbuch schafft es nicht so recht, den Übergang von der träumerisch- phantastischen Innenwelt der Hauptfigur in die reale Gewaltanwendung und deren Konsequenzen plausibel zu machen.

Verglichen mit der differenzierten Anlage der Figuren und der Schilderung ihrer kurzen, intensiven Beziehung bleibt zudem das Ende deutlich zu offen und vage. So stellt sich nach einer recht unterhaltsamen und mitunter erhellenden ersten Hälfte der Eindruck ein, dass hier vielversprechendes Potenzial nicht bis zu Ende entwickelt wurde. Schade.

Eileen, Regie: William Oldroyd (96 min) mit Thomasin McKenzie, Anne Hathaway, Shea Whigham u. a.