Gefeiert als Eröffnungsfilm der Hofer Filmtage 2023: 18 Jahre nach seinem Erfolg mit „Vier Minuten“ setzt Regisseur Chris Kraus die Geschichte der hochbegabten Systemsprengerin Jenny auf der Suche nach Vergeltung fort. Das musikalische Rache-Drama überzeugt dank einer starken Hauptdarstellerin, streift aber immer wieder die Grenzen des Kitsch.

„Vergebung bedeutet, jede Hoffnung auf eine bessere Vergangenheit aufzugeben“, so wird zu Filmbeginn ein buddhistischer Bestsellerautor zitiert. Demnach zielte Rache als Gegenteil zur Vergebung darauf ab, die Vergangenheit im Nachhinein verbessern zu wollen; die durch ein Unrecht aus den Fugen geratene Welt zurück ins Lot zu bringen. Dass das nicht gelingen kann, lehren Geschichte und Physik. Ungeachtet dessen erfreut sich das Sujet der Rache quer durch alle Genres seit jeher großer Beliebtheit.

Das Gegenteil von Entspannungs-Therapie

Auch in „15 Jahre“ deutet zunächst nichts darauf hin, dass Protagonistin Jenny von Loeben (Hanna Herzsprung) anderes im Sinn hat als eine lange Reihe meist männlicher Rächer vor ihr. Nach 15 Jahren Haft für einen Mord, den sie nicht begangen hat, liegt ihr jedenfalls nicht in erster Linie daran, ihre Dämonen durch spirituellen Gleichmut zu überwinden. Zwar hat sie sich in die Obhut einer Art christlichen Wiedereingliederungstherapiegruppe mit der gestrengen Oberin Frau Markowski (Adele Neuhauser aus dem Wiener Tatort) begeben. Dennoch ist sie weit davon entfernt, ihren Frieden mit der Welt zu machen. Oder wie Frau Markowski es auf den Punkt bringt: „Deine Vergangenheit, die geht einfach nicht vorbei.“

Chris Kraus’ „15 Jahre“ ist die Fortsetzung seines eigenen, vielgelobten Films „Vier Minuten“ (2006). Als deutlich ältere Erwachsene ist Jenny immer noch die Systemsprengerin, als die sie damals eingeführt wurde: seelisch verletzt, auf der Suche nach Orientierung und Ausdrucksmöglichkeiten – auch und vor allem füf die eigene Dunkelheit. Als musikalische Hochbegabte verachtet sie weiterhin jede Mittelmäßigkeit, von der sie aber ständig umgeben ist, zum Beispiel in der Therapiegruppe. Besonderen Ausdruck findet das in ihrem Verhältnis zur naiv-gutmütigen Wolke (Stefanie Reinsperger), die regelmäßig unter Jennys Ausbrüchen zu leiden hat.

Talentshow als Bühne fürs Rache-Drama

Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, als ein Putzeinsatz Jenny mit ihrer Gruppe in die Musikhochschule führt, in der einst ihr Talent entdeckt wurde. Hier trifft sie auf den seinerzeit hoffnungslos in sie verliebten Harry Mangold (Christian Friedel). Der hat es zwar selbst nicht zum Virtuosen gebracht hat, ist aber im Musikbusiness gut vernetzt und verdient entsprechendes Geld. Er bringt sie gegen ihren anfänglichen Widerstand dazu, gemeinsam mit seiner Entdeckung, dem syrischen Musiker Omar Annan (Hassan Akkouch), bei einer Talentshow anzutreten.

Star und Host dieser Show ist allerdings ihre einstige Jugendliebe – derjenige, der sie verraten und damit ihr erlittenes Martyrium zu verantworten hat. Unter dem sprechenden Künstlernamen Gimmiemore (Albrecht Schuch) ist er zur international erfolgreichen Pop-Instanz avanciert. Seine Präsenz ist der wahre Anreiz für Jenny, an der von ihr zutiefst verachteten Show teilzunehmen. So wird Gimmiemore zum Ziel ihrer finsteren Mord- und Rachepläne. Daran vermag zunächst auch die Tatsache nichts zu ändern, dass er ohne Perücke und Make-up von Krebs im Endstadium gezeichnet ist.

Gimmiemore (Albrecht Schuch) und Jenny (Hannah Herzsprung). Bild: (c) Julia Terjung 2023, Dor Film-West, Four Minutes Filmproduktion, Wild Bunch Germany

Intuition vs. Vergeltung

Aufkeimende zarte Gefühle zwischen Jenny und Omar haben es in dieser Situation schwer. Stattdessen kommt immer wieder die große Frage zur Sprache, was im Leben denn nun Vorrang habe – die Gerechtigkeit wiederherzustellen oder das eigene Los anzunehmen und die darin auch enthaltenen angenehmen Seiten zu genießen. Wenn der Film droht, dabei in Kitsch abzugleiten, rettet ihn immer wieder Jennys Wahlspruch: „So lange du lebst, verschwende dich!“ Das tut sie ausgiebig. Dabei können Drehbuch und Darstellerin dem Charakter durchaus auch ambivalente Züge abgewinnen.

Immer wieder scheint Jennys Intuition gegen die militärische Konsequenz der Gerechtigkeitserzwingung die Oberhand zu gewinnen. Dann ist die Erkenntnis nicht weit, dass es vielleicht an der Zeit sein könnte, es gut sein zu lassen und auf zartere Gefühle zu hören – zumal Antagonist Gimmiemore nicht nur durch seinen bedauernswerten Zustand ihre Empathie zu wecken vermag. Die Frage, wie Jenny diesen inneren Zwiespalt am Ende auflösen wird, ist letztlich der Motor der Erzählung.

Kunst vs. Kitsch

Darstellerisch können in „15 Jahre“ eine Reihe bekannter TV-Gesichter mehr von ihrem Können zeigen als im öffentlich-rechtlichen Abendprogramm. Dazwischen ragen Albrecht Schuch und mehr noch Hannah Herzsprung durch die Intensität ihres Spiels deutlich hervor. Zudem gelingt es Kamera, Schnitt und Musik, eine düstere, spannungsgeladene Grundstimmung zu erzeugen, die den Film in Richtung Finale treibt. Diese wird immer wieder gebrochen durch überraschend schöne Bilder und Sequenzen, die in Momenten kurzfristigen Glücks Hoffnung auf ein besseres Leben machen.

Insgesamt sieht man dem Werk einige Drehbuchschwächen sowie das Bemühen allzu vieler Klischeebilder und -situationen so gerne nach. Auch mit der Fortsetzung seiner Jenny-Erzählung gelingt Kraus damit etwas, das in Deutschland viel zu selten gelingt: ein starker Genrefilm.

15 Jahre, Regie: Chris Kraus (144 min) mit Hannah Herzsprung, Albrecht Schuch, Hassan Akkouch u. a.