Ein bekannter jüdischer Witz fragt: Was ist der Unterschied zwischen einer jüdischen Mama und einem Bullterrier? Antwort: Der Bullterrier lässt manchmal los. In der Miniserie „Die Zweiflers“ von David Hadda verkörpert Sunnyi Melles überzeugend dieses Bild der Übermutter. Als Mimi Zweifler steht sie im Zentrum von Handlung und Großfamilie und bemüht sich nach Kräften, die Kontrolle über alles, was um sie herum geschieht, zu behalten. Damit treibt sie sowohl ihre erwachsenen Kinder Samuel (Aaron Altaras), Leon (Leo Altaras) und Dana (Deleila Piasko) als auch Ehemann Jackie (Mark Ivanir), einen Sexualtherapeuten auf gelegentlichen amourösen Abwegen, an den Rand des Wahnsinns. Doch wenn es ums Geschäft geht, wird sie zu ihrem Verdruss nicht gefragt.

Nur ein Teil der Familie Zweifler: Lilka Zweifler (Eleanor Reissa), Sabba Henriques (Saffron Marni Coomber), Samuel (Aaron Altaras), Leon (Leo Altaras) und Mimi Zweifler (Sunnyi Melles). Bild: ARD Degeto/HR/Turbokultur/Elliott Kreyenberg

Das ist einerseits schlimm, weil dieses Geschäft, der gut laufende Delikatesshandel mit Restaurant im Frankfurter Bahnhofsviertel, seit vierzig Jahren ihr Arbeitsplatz ist. Nun will ihr Vater, der Holocaustüberlebende, Selfmademan und Patriarch Symcha Zweifler (Mike Burstyn), ihn an die „seelenlosen Roboter“ einer Investmentfirma verkaufen, weil er niemanden sieht, der ihm aus der Familie an der Spitze des Unternehmens nachfolgen könnte. Andererseits stellt das „Zweiflers“* in Mimis Augen das Vermächtnis der Familie dar. Es ist Ausdruck ihrer Selbstbehauptung in der bundesrepublikanischen Gesellschaft und Grundlage ihrer Anerkennung. Symcha hat sein Geschäft in den Jahren nach dem Krieg in einer von alten Nazis und ihren Seilschaften dominierten Umgebung gegen große Widerstände aufgebaut – und ist dabei, wie es bald heißen wird, auch über Leichen gegangen.

Familie als Bollwerk und Zumutung

Um seine Verkaufspläne mitzuteilen, ruft er nun drei Generationen Familienangehöriger zusammen. Von den Enkeln ist Samuel, der in Berlin fern der Enge der Großfamilie lebt, angereist; Dana ist aus Israel via Laptop zugeschaltet. Von den Gründer-Kindern nimmt außer Mimi deren Schwester Tammi (Ute Lemper) per Telefon aus New York teil. Allerdings nur so lang, bis Mimi auflegt, weil sie den schwesterlichen Beitrag „so hilfreich wie die Matze nach Pessach“ findet. Hier wird von Anfang an Tacheles geredet und zwar am liebsten deftig und vielsprachig; neben Deutsch und Jiddisch kommen Englisch, Hebräisch, etwas Russisch und sogar Chinesisch vor. Selbstverständlich stellen sich nach der Versammlung im Büro weder eine Übereinkunft noch Frieden ein.

Zudem rufen die Schatten der Vergangenheit mit der sinistren Figur des gerade aus dem Gefängnis entlassenen „Juden-Siggi“ eine Frankfurter Rotlichtgestalt auf den Plan. Martin Wuttke gibt sie mit erpresserischer Gönnerhaftigkeit und womöglich etwas zu viel Hingabe ans Klischee des Kleingangsters. Dadurch fällt dieser in seinen Volten durchaus interessante Erzählstrang im Vergleich mit den übrigen Geschichten um Familienzusammenhalt, Zumutungen der Tradition und individuelle Neuerfindungen stilistisch etwas ab. Andererseits macht aber gerade das disparat Zusammengesetzte, das Spiel mit Klischees und Anleihen aus anderen Serien und Popkultur-Versatzstücken einen großen Teil des Reizes von „Die Zweiflers“ aus. Leichtfüßig gelingt es dem Drehbuch, das Hadda gemeinsam mit Juri Sternburg und seiner Frau, Sarah Hadda, geschrieben hat, eine zentrale Liebesgeschichte mit Drama- und Krimimotiven, die nicht von ungefähr an die „Sopranos“, Haddas Lieblingsserie, erinnern, zu verschmelzen. Die sich ergebenden Fragen zielen ins Allgemeingültige. Es geht um die Bedeutung von Identität, die Notwendigkeit von Brüchen und Kontinuität, kurz: das richtige Leben.

Im Mittelpunkt steht die aufkeimende Liebe zwischen Saba (Saffron Coomber) und Samuel. Saba ist Küchenchefin mit englischen und karibischen Wurzeln in einem Szenerestaurant, in dem Samuel sich mit seiner alten Frankfurter Freundesclique trifft. Nach einer gemeinsamen Zigarette zwischen Mülltonnen im engen Hinterhof des Restaurants, einer Annäherung, bei der das Drehbuch genüsslich mit Stereotypen vom Ringen um angemessen politisch-korrekte Worte angesichts ihrer so offensichtlich unterschiedlichen Hintergründe spielt, finden sie schnell zusammen. Es ist Liebe auf den ersten Blick, die Musik des Soundtracks wechselt vom 70er-Jahre-Soul, mit dem Samuel eingeführt worden ist, zu Nick Caves „Into my Arms“. Wie es kommen muss, kann Samuel nicht anders als Saba mit einem „Willkommen in der verrückten Familie. Ich entschuldige mich im Voraus“ mit der gesamten Mischpoke bekannt zu machen. Dann wird Saba schwanger und findet sich ganz Mimis Umgarnungen und Manövern ausgesetzt. Deren erklärtes Ziel ist es, sie ins Judentum einzugemeinden und den ersehnten Enkel traditionsgemäß im Rahmen einer feierlichen Brit Mila beschneiden zu lassen. Selbstverständlich führt das zu Konflikten galore, aus denen dramaturgisch Funken geschlagen werden. Dabei variieren die emotionalen Tonlagen von komödiantisch schrill über melancholisch bis zu depressiv düster.

Keine Schwarzweißzeichnung, aber Bedrohung galore

Dank des großen, international besetzten Figurenensembles, das bei aller Überzeichnung die Vielschichtigkeit der Charaktere auslotet und Schwarzweißzeichnungen vermeidet, gelingt den Zweiflers etwas, das es im deutschen Fernsehen kaum einmal gibt: eine ungeschönte und unverkrampfte Darstellung jüdischen Lebens in Deutschland. Dazu bedienen die Regisseurinnen Anja Marquardt und Clara Zoë My-Linh von Armin filmisch gekonnt unterschiedliche Register, stilisieren das Geschehen, ziehen immer wieder die Geschwindigkeit an und kommentieren die Handlung mit spektakulären Essens- und Kochbildern.

Wie Hadda im Interview mit Radioeins von Anfang Mai hervorhebt, ist ihm bei alldem besonders wichtig gewesen, Juden als ganz normale Leute, die in Clubs gehen, sich streiten oder Eheprobleme haben, zu zeigen, und eben nicht, wie es ihm zufolge im deutschen Film die Regel ist, entweder als tote oder neurotische Juden oder als Opfer. Da die Handlung in den späten 2010er-Jahren spielt, kommen weder die Schrecken des Hamas-Überfalls auf Israel vom 7. Oktober 2023 noch der auf sie folgende Krieg und die Eskalation des Antisemitismus weltweit und in Deutschland direkt vor. Insgesamt wird bei aller Normalität, um die stets gerungen werden muss, dennoch die Allgegenwart der Drohung von Anfeindung und Vernichtung wachgehalten. Sie drückt sich in der Grundierung von Figuren wie Symchas Frau Lilka aus, die freiwillig nie zu einem deutschen Arzt gehen würde und sich, als sie es von Samuel gezwungen doch tut, prompt bestätigt sieht: „Überraschung! Der Todesengel steht vor der Tür!“ Auch im Gerede eines Taxifahrers, der Saba in ein Gespräch verwickelt, bricht sich die schon vor 2023 stets vorhandene Mixtur aus Judenfeindschaft und dem Geraune von der Weltverschwörung, der „wir“ als angebliche Leidtragende der „Flüchtlingskrise“ ausgeliefert seien, Bahn.

Um Samuel angesichts dessen von der Bedeutung der eigenen jahrtausende alten Tradition zu überzeugen, die allein einen gewissen Schutz bieten kann, erzählt Symcha ihm – natürlich – einen Witz: „Am Ende“, sagt er, „wird immer alles den Juden in die Schuhe geschoben. Denk nur an die Titanic! Wer war schuld? Eisberg!“

Wem das aktuell zu weit von der mörderischen Drastik des Kriegs entfernt scheint, dem sei als side dish die ebenfalls exzellente israelische Serie „Fauda“ auf Netflix empfohlen. Auch sie ist vor 2023 entstanden, schildert aber anschaulich die militärisch überformte Logik des Konflikts zwischen Israel und den seine Existenz bedrohenden islamistischen Organisationen aus der Innensicht einer Anti-Terroreinheit. Ebenfalls mit großartig vielschichtigen Protagonist:innen.

* Die Innenaufnahmen wurden übrigens im Gemalten Haus, einer meiner Lieblings-Apfelweinwirtschaften in Sachsenhausen gedreht.