Faouzi Bensaïdis marokkanisches Roadmovie „Déserts – Für eine Handvoll Dirham“ beginnt als schwarzhumorige Satire und wandelt sich zum surrealen Western. Zwar findet die naturalistische Erzählung zweier Schuldeneintreiber im Pathos der Rachegeschichte des zweiten Teils ein Ende, doch auf dem Weg dorthin versiegt der Erzählfluss des Films, der ganz großes Kino sein will, in der Trockenheit der weiten Landschaft.
Hamid (Fehd Benchemsi) und Medhi (Abdelhadi Taleb) stehen verloren in der Landschaft. Am Rand einer Schnellstraße beugen sie sich über ihre Karte und können sich nicht über die Richtung einig werden, die sie einschlagen müssen. Schließlich weht der Wind ihre Karte in die Wüste, und sie sind ganz auf sich und ihre Intuition gestellt.
Mit der scheint es allerdings, auch unabhängig vom Orientierungssinn auf der Straße, nicht weit her zu sein. Denn Hamid und Medhi arbeiten für ein Inkassounternehmen in Casablanca. Ihre Aufgabe ist es, Einwohnern der trostlosen Wüstenlandschaften Südmarokkos, die einmal aufgenommene Kredite nicht zurückzahlen können, das letzte versteckte Geld aus den Taschen zu ziehen. Wenn es keins gibt, was eher die Regel als die Ausnahme ist, nehmen sie mit, was sie stattdessen kriegen können: Teppiche, Ziegen oder Lebensmittel, die ihr Ablaufdatum zum Teil bereits überschritten haben.
Empathie, Trümmer und Witz
Womit nicht gesagt sein soll, Hamid und Medhi hätten kein Herz. Vor allem Medhi ist anfangs so empathisch, dass er ohne Hamids etwas stärker ausgestellte Härte seine Arbeit gar nicht machen könnte. Neben Mitleid mit denen, die noch weniger haben als er selbst, hat er ein zweites Handicap: Er hat nämlich keine Lust, über ein paar Dirham mehr oder weniger zu diskutieren. Das empfindet er als unhöflich, was wiederrum Hamid dazu bringt, ihm Lebensuntüchtigkeit vorzuhalten.
Aber während ihres gemeinsamen Roadtrips durch die Ausläufer des Atlasgebirge ist es vor allem Hamid, der nachts nicht schlafen kann. Auch sein Dasein gleicht einer Trümmerlandschaft. So rettet sie inmitten all der skurrilen Situationen, in die sie bei ihrem Job geraten, allein das Vermögen, mit einem Rest an schwarzem Humor auf die Finsternis zu blicken, in der sie gefangen sind.
Der marokkanische Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler Faouzi Bensaïdi wird seit gut zwanzig Jahren mit seinen Filmen immer wieder nach Cannes und Venedig eingeladen und mit Preisen bedacht. Und tatsächlich zeichnet er in der ersten Hälfte von „Déserts“ ein überzeugendes lakonisches Bild davon, wie neoliberale Praktiken eine Gesellschaft verändern, die nie wirklich in der Moderne angekommen ist. Daraus wird kein in erster Linie politisches Pamphlet. Stattdessen findet der Film starke, großteils statische Einstellungen, in denen die Charaktere einander in absurden Situationen nach dem Letzten trachten, das ihnen zum Leben bleibt.
Bilder der äußeren Wüste(n) spiegeln die Wüsten im Inneren der Menschen; die Raffinesse der Schuldner wie die Gebrochenheit der Schuldeneintreiber halten die Möglichkeit eines Auswegs stets offen. Entgegen der kalten Logik von Geld und Kalkül hält sich so durchweg zumindest eine Höflichkeit durch, die nie in Frage gestellt wird. Besonders schön zeigt das eine Szene, in der Hamid und Medhi bei einem bankrotten Imbissbesitzer (als den sich Bensaïdi selbst besetzt hat) essen. Noch während um ihn herum alles an Inventar abgebaut wird, was sich überhaupt mitnehmen lässt, wahrt der noch die Form.
Tonalitätswechsel
Etwa in der Mitte von „Déserts“ änderst sich mit dem Auftauchen eines weiteren Protagonisten die Tonalität der Erzählung jedoch komplett. An einer Tankstelle lernen die Schuldeneintreiber einen verzweifelten Mann kennen, der einen anderen, den „Entflohenen“ (Rabii Benjhaile), wie er sagt, auf seinem Motorrad dabeihat. Er überredet sie, den mit einer Eisenkette gefesselten beim nächsten Gefängnis für ihn abzugeben, wofür er ihnen sogar eine Belohnung zahlt.
Wie zu erwarten steht, klappt das nicht. Wie zur Strafe lässt der Film seine beiden kauzigen Helden in einer fast mystischen Dunkelheit zurück und widmet sich nun der an einen Western erinnernden Rachegeschichte des Entflohenen. Statt weiter die Spur des bisherigen gebrochenen Naturalismus zu verfolgen, windet sich die Handlung ins Surreale eines magischen Realismus. Die Musik erhält mehr Raum und Pathos, es geht um Rache und übergroße Liebe, die Landschaften wirken mit einem Mal erhabener und der Wagen, den der Entflohene den Schuldeneintreibern abgenommen hat, fährt ins staubig-gegenlichtige Gold des Sonnenuntergangs.
Bereits im ersten Teil hatte Bensaïdi neben intime Unterhaltungen und feine Zeichnungen von Menschen und Umwelt Klamauk und Überinszeniertes – etwa bei einer Zusammenkunft der Beschäftigten des Inkassounternehmens – gestellt. Das wurde aber dem Kulturclash von Archaik und Auswüchsen des Hyperkapitalismus noch durchaus gerecht.
Die Auflösung der Reise zurück aus noch einmal ganz andere erzählerischen Gefilden gelingt dann am Ende aber nicht wirklich. Da helfen auch zusätzliche Ausflüge in eine Metaerzählung über die Kraft des Geschichtenerzählens nicht. Eher tragen sie zusätzlich dazu bei, den Weg zum Finale unnötig in die Länge zu ziehen. Weniger wäre hier entschieden mehr gewesen. So bleibt der Eindruck, dass die erste, eigentliche Fabel von „Déserts“ keinen Abschluss findet, während der Westerngeschichte vielleicht besser ein eigener Film hätte gewidmet werden sollen. Dafür allerdings war sie dann wohl in der Tat nicht originell genug.
Déserts – Für eine Handvoll Dirham, Regie: Faouzi Bensaïdi (125 min) mit Fehd Benchemsi, Abdelhadi Taleb, Rabii Benjhaile u. a.