Pünktlich zu den Olympischen Spielen kommt mit „Tatami“ die erste iranisch-israelische Ko-Regie-Arbeit in die Kinos. Schon deshalb ist der Film, der seinen Kampfplatz, die Judomatte, im Titel trägt, gerade dieser Tage besonders. Er erzählt vom Kampf einer Sportlerin gegen die Einschüchterungsversuche des iranischen Systems. Dabei ist er mehr als ein Sportfilm oder eine einfache Politparabel. So verbeugt er sich tief vor den Mutigen der Bewegung „Frau. Leben. Freiheit“.

Leila Hosseini (Arienne Mandi) hat mehr Kämpfe auszutragen als nur die auf der Matte. Bild: Judo Production LLC/Juda Khatia Psuturi

Im Bus auf dem Weg nach Tiflis ist Leila Housseini (Arienne Mandi) unter ihren Kopfhörern ganz in sich zurückgezogen. Auch beim Training mit der Mannschaft schirmt sie sich durch elektronische Beats von ihrer Umgebung ab. Direkt vor dem Wettkampf jedoch birst die Judoka mit dem Hidschab schier vor Energie. Schließlich tritt sie bei den Weltmeisterschaften in Georgien an, um für sich, ihre Familie und ihr Land – den Iran – Gold zu holen. Begleitet wird sie auf dieser Mission unter anderem von der Nationaltrainerin der islamischen Republik, Maryam Ghanbari (Zar Amir Ebrahimi). Diese war, bis sie ihre Karriere aufgrund einer Verletzung beenden musste, selbst erfolgreiche Athletin. Aufgrund ihrer Technik und ihres Kampfgeistes sehen Leila und die Sportlerinnen ihrer Generation bewundernd zu ihr auf. Nun fiebern Leila und Maryam gemeinsam den anstehenden Kämpfen entgegen, genau wie in Teheran die zurückgebliebenen Familien und Freunde.

Kampftemperatur, Siegeswille, Sorgen des Regimes

Anfangs scheint jedes Hindernis Leila nur noch mehr anzuspornen. Etwa, dass sie beim Wiegen vor dem ersten Kampf dreihundert Gramm zu schwer für ihre Gewichtsklasse ist und gerade mal zwanzig Minuten Zeit hat, um die abzutrainieren. Als sie schweißüberströmt und außer Atem vom Cardio Training, in das sie sich gestürzt hat, zum zweiten Mal auf die Waage steigt, ist sie dann aber sogar 500 Gramm leichter und offensichtlich auf Kampftemperatur.

So sind denn die ersten Begegnungen auf den Tatamis, den traditionellen Judomatten, schnell zu ihren Gunsten entschieden. Zu geübt sind Leilas Griffe, zu stark ist ihr Siegeswille, als dass die Gegnerinnen überhaupt eine reelle Chance hätten, auch wenn die Moderatoren ihre Favoritinnen zunächst immer wieder auf der anderen Seite der Matte vermuten. Leilas Mann Nader (Ash Goldeh), Sohn Amar (Mehdi Bajestani) und ihr engster Kreis, bei dem sie die Kämpfe im Fernsehen verfolgen, habe jedenfalls jede Menge Grund, ihre Heldin zu feiern.

Doch dann meldet sich ein Verbandskader bei Maryam und erklärt ihr, sie habe dafür zu sorgen, dass Leila einen der nächsten Kämpfe verliert oder aufgrund einer vorgetäuschten Verletzung aus dem Turnier ausscheidet. Grund ist die Sorge des Regimes in Teheran, dass ansonsten eine spätere Gegnerin die israelische Weltmeisterin Shani Lavi (Lir Katz) sein könnte. Eine Niederlage gegen den Erzfeind darf es jedoch nach der Doktrin der theokratischen Herrscherclique auf keinen Fall geben. Deshalb ist schon der Möglichkeit, dass dieses Aufeinandertreffen zustande kommen könnte, unbedingt aus dem Weg zu gehen.

Iranisch-israelische Zusammenarbeit

Guy Nattiv, der mit dem Golda-Meir-Porträt „Golda“ derzeit Erfolge bei Kritik und Publikum feiert, und die Exiliranerin Zar Amir Ebrahimi mussten ihren Film, wie sie Reuters zur Premiere beim Filmfest in Venedig im letzten Jahr im Interview sagten, heimlich drehen, um mögliche Störaktionen aus Teheran auszuschließen.

Mit dem Eingreifen der Politik in den Wettbewerb wandelt sich ihre gemeinsame Regiearbeit – die erste Co-Regie zwischen einem Israeli und einer Iranerin und das erste Mal, das die Schauspielerin Ebrahimi (bekannt vor allem aus „Holy Spider“ von 2022) Regie führt – vom Sportfilm zum Polit- und Psychothriller. Denn selbstverständlich ist Leila keinesfalls bereit, ihre Träume von der Goldmedaille ohne weiteres aufzugeben. Auch als der Druck auf sie und ihre Trainerin wächst, hält sie an ihrem Traum fest. Siegen durch Nachgeben, ein wesentliches Prinzip des Judo, ist in diesem Fall nicht ihre Sache.

Inspiriert ist das Drehbuch, das Nattiv gemeinsam mit der wie Ebrahimi in Paris lebenden Iranerin Elham Erfani schrieb, durch die Geschichte des iranischen Judokas Saeid Mollaie. Bei den Weltmeisterschaften in Tokio 2019, bei denen er für die iranische Nationalmannschaft an den Start ging, wurde er von einem Betreuer angewiesen, ein Duell mit dem Israeli Sagi Muki in jedem Fall z vermeiden. In einem Videoanruf durch einen Sportfunktionär des Regimes sei er darauf hingewiesen worden, dass sich Sicherheitskräfte am Haus seiner Eltern befänden, was einer offenen Drohung gleichkam. Dennoch kämpfte Mollaie und setzte sich im Anschluss ins Ausland ab.

„Frau. Leben. Freiheit“

Dadurch, dass „Tatami“ nun eine weibliche Kämpferin an Mollaies Stelle setzt, fügt der Film der Geschichte eine weitere, feministische Dimension hinzu. Leilas Kampf ist nicht nur der eines isolierten Individuums gegen eine gewalttätige politische Übermacht, sondern wird ab einem gewissen Zeitpunkt auch zur gemeinsamen Verteidigung gegen die Männerherrschaft von Sportverband und Regimebütteln über die Athletinnen. Hilfe ist dabei allein von den Frauen zu erwarten, die die Weltmeisterschaften vor Ort organisieren.

Damit bezieht sich das Geschehen auch direkt auf die Parole „Frau. Leben. Freiheit“, die im Iran und darüber hinaus seit September 2022 weite Verbreitung fand. Durchgesetzt hatte sie sich, nachdem die 22-jährige Jina Mahsa Amini aufgrund angeblicher Verstöße gegen die islamischen Kleidungsvorschriften für Frauen durch die Sittenpolizei gewaltsam verhaftet und in ihrem Gewahrsam zu Tode gekommen war. Sie entwickelte sich zum Ausdruck der weltweiten Hoffnung auf politische Veränderung in der islamischen Theokratie, die bis heute allerdings auf sich warten lässt.

Kein eindimensionales politisches Lehrstück

Dennoch ist der in Schwarzweiß und im engen Akademie-Format mit einem Seitenverhältnis von ungefähr 4:3 gedrehte Film mit seiner in weiten Teilen klaustrophobischen Atmosphäre mehr als eine holzschnittartige politische Parabel. Zum einen gelingt es den Darstellerinnen, die psychischen Konflikte, vor die sie die Drohungen des Regimes und ihre eigenen Hintergrundgeschichten, die Angst vor Repressionen und der Wille zu gewinnen stellen, differenziert auszuspielen.

Während sich Ebrahimi der Kampf zwischen Loyalität als Freundin und Trainerin und der Sorge ums eigene Wohlergehen tief ins nuancenreiche Minenspiel einschreibt, kann Hauptdarstellerin Arienne Mandi eine beeindruckend kämpferische Körperlichkeit einsetzen. Für ihre Szenen auf dem Tatami und beim Training hat sich die Schauspielerin, die selbst boxt, in Vorbereitung auf die Dreharbeiten ein halbes Jahr von Größen aus dem Judo-Sport schulen lassen; auch die im Film enthaltenen Kampfszenen wurden von Judo-Profis choreografiert und mit je zwei Kameras gefilmt. Der Eindruck ist, dass man mitten im Kampfgeschehen dabei ist.

Zum anderen tun Regie und Produktion einiges, um die Wettkampfatmosphäre und das Drumherum im Sportzentrum authentisch wirken zu lassen. Das geht soweit, dass nicht nur die Nebenrollen der Gegnerinnen mit tatsächlichen ehemaligen Weltmeisterinnen besetzt wurden, sondern sogar das Moderatorenduo, das die Kämpfe kommentiert, bei internationalen Judofans sehr bekannt ist.

Hinzukommt, dass „Tatami“ dankenswerter Weise bei aller Verpflichtung auf sportliche Echtheit nicht durchgängig der Erzählstrategie der typischen Heldenreise eines Sportfilms folgt. So bleiben Raum für die Suche nach Verbündeten, die Befragung sich wandelnder Gefühle und – nicht zuletzt – für Überraschungen fürs Publikum.

Tatami, Regie: Guy Nattiv und Zar Amir Ebrahimi (105 min) mit Arienne Mandi, Zar Amir Ebrahimi, Jaime Ray Newman u. a.