Schönwetterwolken ziehen am Sommerhimmel vorbei. Mit dem ersten Schnitt öffnet sich eine sandige Dünenlandschaft, die in grüne Hügel übergeht. Dazu ertönt die Melodie von Johann Sebastian Bachs sakralem Lied »Komm, süßer Tod«, das vom Klingeln eines Handys unterbrochen wird. Sehr klein erscheint im Zentrum des Bilds eine nackte Frau: Line (Lyna Khoudri), die mit dem Smartphone ihre Umgebung filmt und davon erzählt, wie toll es ist, sich in der menschenleeren Gegend streifenfrei zu sonnen.

Zur selben Zeit kehrt der junge Fischer Jony (Brandon Vlieghe) mit seinem Boot vom Meer zurück; die Kamera verfolgt seine Bewegungen in dokumentarisch anmutenden, akkurat komponierten Einstellungen. Bald kreuzen sich die Wege der beiden Figuren. Line, die mit ihrer Mutter und dem Stiefvater erst kürzlich in das Dorf an der Côte d’Opale gezogen ist, beginnt, mit dem gerade von seiner Frau verlassenen Jony abzuhängen.

Das Raumschiff der Königin des Lichts im sakralen Design. Bild: (c) Filmgalerie 451

Brüche statt Identifikation

Erste Anomalien im Verhalten der Charaktere brechen mit der Alltäglichkeit der Szenerie. Bald stellt sich heraus, dass beide von außerterrestrischen Dämonen besessen sind. Während Line sich noch der völligen Vereinnahmung widersetzt, hat sich Jony bereits in ein Alien in Menschengestalt verwandelt. Inmitten der französischen Provinz entbrennt ein Kampf zwischen den Kräften des Lichts und der Dunkelheit, in dessen Zentrum das Baby Freddy steht. Dieser ist nicht einfach nur Jonys Sohn, er könnte auch der geheimnisvolle »Magrat« sein, in dessen niedlicher Gestalt der Teufel auf die Erde zurückgekehrt ist.

Mit dem Film »Das Imperium« (»L’Empire«), der im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale den Silbernen Bären gewann, kehrt der französische Regisseur Bruno Dumont erneut in die Gegend zurück, in der er aufgewachsen ist. Dort, in der nordfranzösischen Provinz, ist bereits ein großer Teil seines bisherigen Œuvres angesiedelt: von den Anfängen mit den Filmen »Das Leben Jesu« (1997) und »L’Humanité« (1999) über die kannibalische Gesellschaftsgroteske »Die feine Gesellschaft« (2016) bis zu den mit Musical-Elementen durchsetzten Meditationen über die Nationalheldin Johanna von Orléans (»Jeannette – Die Kindheit der Jeanne d’Arc«, 2017, und »Jeanne d’Arc«, 2019).

Mit seinem eigenwilligen Stil hat der Regisseur Publikum und Kritik verlässlich in Anhänger und Verächter gespalten. Loben die einen die vordergründige Unaufgeregtheit, mit der er Sozialstudien, Naturbilder und Gewaltausbrüche unvermittelt aufeinanderprallen lässt, ohne vermittelnde Erklärungen abzugeben, gilt seine Erzählweise anderen als quälend langweilig, schockierend oder nichtssagend. Geteilte Meinungen gibt es auch über seine häufig von Laien dargestellten Figuren, die nicht in das gängige Rollenmuster von Held oder Schurke passen. Seine Darsteller verzichten zumeist bewusst darauf zu »schauspielern«, um die Identifikation des Zuschauers mit den Figuren zu erschweren.

Unüberbrückbare Gegensätze und wilde Mixe

Dumont geht es immer auch darum, darzustellen, wie schwierig, wenn nicht unmöglich das Gelingen von Kommunikation ist. Prägte die Sprachlosigkeit weite Teile des Frühwerks, finden sich in späteren Filmen häufig ritualisierte Sprechweisen, die die verschiedenen Fraktionen charakterisieren, zum Beispiel in »Jeanne d’Arc«. Zwischen den Anhängern unterschiedlicher Glaubensrichtungen gibt es keinerlei Verständigung, was der Regisseur im Prozess der Kirchenväter gegen seine mit den Zügen Greta Thunbergs ausgestattete Protagonistin genüsslich durchspielt.

Erst mit »France« von 2021 legte er einen für ein größeres Kinopublikum zugänglichen Film vor. Mit bewegter Kamera und Léa Seydoux in der Hauptrolle unternimmt er einen Ausflug ins Zentrum der Medienwelt von Paris, um von dort verschiedene Exkursionen in Krisenregionen der Welt zu beginnen – eine eigenwillige Version von Melodram und überdrehtem Superstarkino. Dabei unterläuft die Farce beständig die Moralität der Erzählung und liefert zugleich eine Kritik der cineastischen Bildproduktion.

Der Film »Das Imperium« beginnt mit deutlichen stilistischen Anspielungen auf Dumonts vorherige Filme. Dass die Spielereien mit dem Erhabenen und dem Profanen hier auf die Spitze getrieben werden, merkt man schnell. Als ein Regisseur, der sich mit jedem Werk neu erfinden und überbieten muss, fügt Dumont der Provinzkomödie Elemente der Weltraumsaga »Krieg der Sterne« hinzu. Deutlich sind auch die Anleihen beim Genre der Bibelparodie.

Lässige Schwebe zwischen Albernheit und Größe

Die Mischung erscheint zunächst absurd, bald aber einleuchtend. Denn in dem kleinen Fischerort ist wenig so, wie es scheint. Die undurchsichtigen Mächte schrecken bei ihrem Versuch, sich das Kind zu schnappen, auch vor brutaler Gewaltanwendung nicht zurück. Nach einem von ihnen herbeigeführten Autounfall, den die Kindsmutter schwerverletzt überlebt, wird sie kurzerhand von Rudy (Julien Manier), einem Lichtkrieger niederen Rangs, mit dem Laserschwert geköpft.

Sehr zum Ärger von Rudys Vorgesetzter Jane (Anamaria Vartolomei) misslingt die Kindesentführung. Wenn sich Jony dann ausgerechnet in Jane verliebt, wird klar, dass er trotz seiner Transformation weiterhin den triebhaften Freuden des Menschseins unterliegt. Janes anfängliche Skepsis gegenüber seinen Avancen weiß Jony überzeugend zu kontern: »Wir vögeln einfach, und das Leben geht weiter!« Damit beginnt eine Liebesgeschichte, die wiederum der eifersüchtigen Line missfällt.

»Das Imperium« bringt skurrile Albernheiten und beeindruckende Bilder zusammen und lässt ein slapstickhaftes Ermittlerduo inmitten des Endkampfs höherer Mächte umherstolpern. Selten hat man gewaltigere Raumschiffe gesehen, die in einer sak­ralen Großarchitektur erstrahlen. Nicht jede Idee überzeugt in diesem multiplen Pastiche, aber alles wird in einer lässigen Schwebe gehalten, in der sich zutiefst menschliche Motive an einem Übermaß der für Science-Fiction typischen Kraftmeierei reiben. Eine gehörige Prise Humor hilft über die Schwächen der erzählerischen Konstruktion hinweg. So muss zuletzt, wenn die Leere aller Glaubenssätze bewiesen ist, der Margat nur noch schlitzohrig sagen: »Das war’s.«

Das Imperium (Frankreich 2024). Buch und Regie: Bruno Dumont. Darsteller: Lyna Khoudri, Anamaria Vartolomei, Camille Cottin. Filmstart: 21. November