Ein US-amerikanisches Pärchen verbringt eine Partynacht im Berliner Club Reaktor. Es ist der finale Höhepunkt der Hochzeitsreise, die Zofia (Jenny Walser) und Josh Feinstein (Ben Lloyd-Hughes) während eines Jahres um die Welt geführt hat. Zum Abschluss ihrer Auszeit vom real life in New York haben sie die harte Tür des mythenumwobenen Clubs – Pate stand leicht erkennbar das Berghain – überwunden und geben sich in der Masse verstrahlt halbnackter Tanzender den mächtigen Bässen hin.
Um den Augenblick voll auszukosten, nehmen sie Ecstasy. Sie feiern, fühlen sich auf dem Gipfel ihrer Möglichkeiten und im pulsierenden Herzen der Welt – doch auf einmal ist Zofia verschwunden. Josh sucht nach ihr, bis ihn eine SMS des Club-Teams in den Backstage Bereich ruft. Dort liegt seine Frau halb ohnmächtig und mit Schaum vor dem Mund. Sie stirbt am nächsten Tag in einem Berliner Krankenhaus, ohne noch einmal das Bewusstsein erlangt zu haben.

Auf der Intensivstation kreuzen ihr und Joshs Weg den der jungen Reporterin Rosa Bernhard (Lisa Vicari). Diese hat dort ihrer Mutter nach einem missglückten Selbstmordversuch einen Pflichtbesuch abgestattet. Da sie aber annimmt, dass es der Mutter mehr um Aufmerksamkeit als den tatsächlichen Wunsch, aus dem Leben zu scheiden, gegangen ist, interessiert sie sich bald mehr für den verstörten Amerikaner und seinen Schmerz. Vor allem, da sie mitbekommt, dass sein Verlust mit Drogenkonsum und dem Reaktor zu tun hat – zwei Buzzwords, die ihr professionelles Interesse wecken. Sie bietet an, Josh, der in der Stadt niemanden kennt, zu unterstützen, ohne ihm gegenüber das eigennützige Motiv ihres Mitgefühls zu erwähnen.
Leben, Tod und Storys
Auf hohem filmischen Niveau verbindet die sechsteilige Drama-Serie „The Next Level“, die ab 24. Januar in der ARD Mediathek zu sehen ist, die Geschichte von Zofia und Josh nicht nur mit derjenigen der Journalistin. Aus Rosas Blickwinkel erweitert die Inszenierung des Regie-Doppels Pia Strietmann und Julia Langhof das persönliche Drama um Hoffnungen und Tod durch Innenansichten aus dem Ringen um eine Story sowie den Preis, den es dafür zu zahlen gilt. Darüber hinaus verknüpft Rosa in ihrer Recherche diese Fäden schnell mit einer größeren Erzählung vom Stadtwandel in Berlin und beschäftigt sich mit dem Ausverkauf des urbanen Raums und seiner Mythen. Das ist auch vorher schon Thema einer Reportage gewesen, an der sie, stets eine Zigarette im Mund und rund um die Uhr trinkend, gearbeitet hat, ohne allerdings auf den Punkt zu kommen. Nun tastet sie sich ausgehend von Joshs Verlust über die Frage nach der Verantwortung für Zofias Tod entlang der Fährte Club, Clubbetreiber, Polizei, Klüngel, Stadtmarketing, Investoren vor in Richtung der großen Zusammenhänge gesellschaftlicher Veränderung.
Der Mann im Hintergrund
In deren Zentrum trifft sie immer wieder auf eine überschaubare Anzahl an Strippenziehern und Machern, allen voran den einstigen Bürgerrechtler Bodo Brenner (Jens Harzer). Nach der Vereinigung, als es in der Mitte Berlins noch viel Platz gab, um sich auszuleben und von einer freieren Welt für alle, die Lust darauf hatten, zu träumen, soll er für die Stadt den Verkauf der zentralen Karl-Marx-Allee mit ihren Wohnbauten im Stil des sozialistischen Neoklassizismus an einen Investor verhandelt haben, wobei er sich für ein lebenslanges Wohnrecht der Mietenden einsetzte. Kurz darauf hat er Deutschland und seiner Vergangenheit angesichts der von ihm festgestellten Übermacht ignoranter Wessis den Rücken gekehrt und ist in den Jahren darauf in New York reich geworden.
Nun will er in Berlin große Areale, unter anderem das, auf dem sich der Reaktor befindet, neuen Nutzungen zuführen und dabei – so zumindest Rosas Eindruck – nicht zuletzt die eigene Geschichte zurückkaufen. Als Mann im Hintergrund vermittelt er erneut zwischen Großinvestoren und Senat, als dessen Sprecher mit Mark Lingen (Jerry Hoffmann) ausgerechnet Rosas Lebensgefährte sein Ansprechpartner ist. Dieses Mal legt er allerdings Wert auf satte Beteiligungen und ist von Interviewanfragen alles andere als angetan. Zumal seine Tochter Paula (Paula Kober), wie Rosa herausfindet, im Reaktor arbeitet und diejenige war, die Zofia betreut, ihr aber erst spät einen Krankenwagen gerufen hat.
Berlin Berlin
Jeder Episode ist eine Schrifttafel vorangestellt, die besagt, dass das Geschehen „teilweise von realen Ereignissen inspiriert“ sei, „jedoch eine fiktionale Erzählung ohne Anspruch auf Wahrheit“ bleibe. Abgesehen davon, dass so oder ähnlich lautende Disclaimer seit längerem zum guten Ton gehören und gleichermaßen eingesetzt werden, um Interesse zu wecken und die Produktion gegenüber den Interessen und vermeintlichen oder tatsächlichen Rechten Dritter abzusichern, kommt dem Hinweis in diesem Fall besondere Bedeutung zu. Denn das Drehbuch zur Serie stammt aus der Feder des Journalisten und Autors Alexander Osang und baut auf seinem Bericht über den Drogentod einer jungen Amerikanerin im Berghain auf, den er 2018 als Reportage im Spiegel veröffentlicht hat.
Schon hier ging es Osang, der nach eigener Aussage ähnlich zufällig an die Geschichte gekommen ist wie sein weibliches Serien-Alter-Ego Rosa in der Verfilmung, ums große Ganze. In seinem Text fragt er danach, ob die Frau, die er ganz als Opfer zeichnet, noch leben könnte und wer oder welche Bedingungen im Club, bei der Polizei und in der Stadt an ihrem Tod mitverantwortlich seien. Dass Osang der Kulturverwaltung der Stadt bescheinigt, sie schaffe den ideologischen Überbau für die Zustände im und ums Berghain hat genauso zur Skandalisierung seines höchst emotionalen Artikels beigetragen wie folgende von ihm zitierte Aussage des damaligen Kultursenators Klaus Lederer: „Klubs sind weit mehr als ein Standortfaktor. Sie sind Orte von Solidarität und Toleranz und Andersartigkeit. Das ist ein Erfolg von Berlin, dass wir das aushalten. Das muss immer wieder erkämpft werden.“ Im Zusammenhang mit dem Tod einer Frau ließ das den Senator als wenig empathisch dastehen. Er bestritt aber in der Folge, dass es im von Osang mit ihm geführten Hintergrundgespräch zur Bedeutung von Clubs in der Stadt überhaupt um diesen Sachverhalt gegangen sei.
Level um Level
Dass die Serie ebenfalls aus kurzschlussartigen Parallelisierungen Spannung bezieht, ist ihr im Gegensatz zum eher moralisierenden als erhellenden Artikel nicht vorzuwerfen. Denn eingebettet in eine den Ereignissen angemessen technoide Soundgestaltung zeigt sie gut ausgearbeitete Figuren mit jeweils eigenen Zielen und Vorgehensweisen, um sich auf das jeweils nächste persönlich angestrebte Level zu hieven.
Neben Lisa Vicari, Jens Harzer, Theatermann und einem größeren Publikum bekannt als Erzähl- und Psychiaterstimme aus „Babylon Berlin“, und Thorsten Merten als Chefredakteur in einer seiner bisher stärksten Rollen, überzeugt vor allem die Inszenierung Berlins. In ausgewogenem Verhältnis stehen atmosphärisch dichte Bilder aus dem Club und repräsentativen Architekturen schmuddelig verregneten Stadtbrachen, Kreuzberger Graffiti-Fassaden, Plattenbauwohnungen und nächtlichen Straßenzügen gegenüber. Und dass es im Leben wie in der Stadtpolitik seit langem schon viel eher um mehr und neue Levels als um Unschuld und Neuanfänge geht, wird ebenfalls ausreichend klar.
THE NEXT LEVEL (1 Staffel mit 6 Folgen. Deutschland 2024). Regie: Pia Strietmann und Julia Langhof, Buch: Alexander Osang. Mit Lisa Vicari, Jens Harzer, Ben Lloyd-Hughes u. a., ab 24.1. in der ARD Mediathek