Gleich zu Beginn von Bong Joon-hos MICKEY 17 sieht es nicht gut aus für den Protagonisten. Selbst beim 17. Mal kann Mickey Barnes (Robert Pattinson) sich nur schlecht damit abfinden, sterben zu müssen. Genau das scheint aber schon wieder an­zustehen, als er bei der Erkundung des Planeten Niflheim – benannt nach der eisigen Unterwelt der nordisch-germanischen Mythologie – in eine Gletscherspalte fällt und von seinem abgebrühten Kollegen Timo (Steven Yeun) aufgegeben und zurückgelassen wird. Zumal das Nächste, was er sieht, das weit aufgerissene Maul eines Creeper ist, wie die dort heimische Lebensform genannt wird. Nun kann Mickey sich nur noch wünschen, möglichst mit einem Happs verschlungen zu werden.

In den vergangenen viereinhalb Jahren hat Mickey reichlich Erfahrung mit dem Sterben sammeln können: Um der dem Untergang geweihten Erde sowie einem sadistisch veranlagten Kredithai zu entkommen, hat der mittellose junge Mann sich für die Arbeit als sogenannter Expendable im Weltraum verpflichtet. Was das bedeutet, war ihm nicht wirklich klar. Expendables, die letzten Abkömmlinge der alten Arbeiterklasse, sind Arbeitsklone, die zum Wohl der Reichen und Herrschenden gefährliche Aufgaben im Weltall übernehmen, wobei nicht einmal ­erwartet wird, dass die Entbehrlichen überleben. Jedes Mal, wenn einer von ihnen stirbt, wird ein neuer Körper generiert. Biodrucker machen es möglich.

Robert Pattinson als Mickey 18 und 17. Bild: (c) 2025 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved

Mickeys Originalkörper wurde zu diesem Zweck gescannt, seine Erinnerungen wurden archiviert, damit er hinfort als perfektes menschliches Versuchskaninchen dienen kann. Gilt es beispielsweise herauszufinden, ob irgendwo ein tödliches Virus lauert, wird Mickey genau dorthin geschickt, um sich der Gefahr auszusetzen. Nach dem Tod, der nun zu seinem Arbeitsalltag gehört und in vielen Variationen, meist jedoch unerfreulich blutig oder qualvoll eintritt, wird sein versehrter Leib verbrannt und schnell ein ­frischer Körper ausgedruckt. Zwar empfindet er das Sterben als lästig, aber nach einer kurzen Eingewöhnungsphase gehört es einfach zum Job dazu.

Moral und Trumpisten

Auf der Erde ist die Praxis des Körperdruckens als unethisch verboten – nicht zuletzt um sogenannte Multiples, also Mehrfachdrucke einer Person, auszuschließen. Doch der faschistische Politiker Kenneth Marshall (Mark Ruffalo) hat durchgesetzt, dass er die Technik probehalber zur Inbesitznahme Niflheims nutzen darf, wo er eine Menschenkolonie gründen und eine neue „reine“ weiße Rasse züchten will.

Bei den übrigen Passagieren des Raumschiffs handelt es sich zumeist um rote Kappen tragende Anhänger Marshalls und seiner ihm soufflierenden Frau Ylfa (Toni Collette). ­Lauter ausgemachte Schwachköpfe, die nichts lieber tun, als der Tag und Nacht ausgestrahlten Übertragung aus dem Leben ihres Führerpaars zu folgen und sie in quasireligiösem Taumel zu preisen. Dazu ist das Essen lausig und ständig wird Mickey mit der Frage belästigt, wie es denn für ihn sei zu sterben.

Eigentlich also kaum auszuhalten, das alles, wäre da nicht die attrak­tive Offizierin Nasha Barridge (Naomi Ackie), die gleich bei der ersten Begegnung ein Auge auf Mickey geworfen hat und bald die Höhen und Tiefen seiner Vielfachexistenz mit einer Hingabe begleitet, die zu er­fahren Mickey nie für möglich gehalten hätte.

Gesellschaftskritik mit Slapstick und Drastik

Doch als Mickey 17 überraschend den Creeper in der Gletscherspalte überlebt und sich erschöpft in seine Koje schleppen will, liegt dort bereits die nächste Version: Mickey 18. Die Kolonisten, die ihn für tot hielten, haben bereits für Ersatz gesorgt. Beide müssen fortan um ihr Leben fürchten. Die Gesetze schreiben vor, dass es immer nur eine Iteration eines Verbrauchsmaterials geben darf und wenn Micky 17 entdeckt wird, werden sowohl er als auch Micky 18 vernichtet.

Mit PARASITE hatte Bong Joon-ho 2020 als erster südkoreanischer Regisseur einen Oscar gewonnen; es war auch das erste Mal, dass eine nicht englischsprachige Produktion als bester Film ausgezeichnet wurde. Sechs Jahre haben seine Fans nun auf die nächste skurrile Komödie warten müssen. Bereits 2022 erstmals an­gekündigt, war MICKEY 17 immer wieder verschoben wurde.

Aber ­allen Befürchtungen zum Trotz ist Bong sich und seiner Kunst im nun auf der Berlinale und gleichzeitig in London endlich uraufgeführten Weltraumepos treu geblieben. Auch wenn seine charakteristische Art brachialer, mit Slapstick und Drastik garnierter Gesellschaftskritik in diesem Fall von vornherein auf ein größeres Publikum abzielt und daher weniger Blut spritzt als in früheren Werken.

Plakatives Messaging

Dem Programm, bei wüster Unterhaltung sein plakatives Messaging zu entfalten und zu erweitern, bleibt Bong jedenfalls verbunden. In SNOWPIERCER (2013) musste sich eine Gruppe Aufständischer vom verwahrlosten hinteren Ende eines Zugs, in dem die Handlung ihren gewalttätigen Lauf nahm, nach vorn kämpfen, um auf die feindliche Elite zu treffen.

In »Parasite« arbeitete eine in prekären Verhältnissen lebende Familie sich gleich ins Haus der Oberschicht vor, inklusive Sex und Splatter zum Finale. Zwei Jahre zuvor hatte Bong in der Serie OKJA (2017) einen Teil der Handlung um ein genmanipuliertes Superschwein in New York City spielen lassen. Mit MICKEY 17 stößt er nun mit seiner universellen Botschaft von der Idiotie der herrschenden Verhältnisse in die Tiefe der ­Galaxie vor – bleibt aber strikt auf der Seite der Ausgebeuteten und Geschundenen, die in seinem Kino immer leicht neben sich zu stehen scheinen.

Diese Sorte Antiheld verkörpert Robert Pattinson, ehemaliger Star der Vampirsaga »Twilight«, in allen ­Variationen aufs Schönste. Basierend auf dem Roman MICKEY 17, den der Autor Edward Ashton dem Regisseur schon vor der Drucklegung zur Ver­filmung überließ, verfasste Bong wie bei seinen anderen Filmen selbst das Drehbuch und vermehrte das Leiden seines Protagonisten – wohl auch aus Freude an der Wiederholung – um zehn Durchläufe.

Robert Pattinson mal 18

Pattinson gibt die einzelnen Ausformungen mit zunächst nur geringfügigen Variationen in Temperament und ­Tonfall. Erst Mickey 17 und 18 unterscheiden sich tatsächlich in ihrer Sicht auf die Welt und ihre Rolle darin, was sich in gestraffter Körperhaltung und aufgeräumteren Gesichtszügen der späteren Version des Charakters vermittelt. In Nummer 18 kommen – auch getriggert durch den Einsatz verbotener Substanzen – endlich Überlebenswille und Gestaltungsanspruch zur Geltung, die bis dahin in Mickeys Persönlichkeitsentwicklung eher unterbelichtet geblieben sind. Gerade noch zur rechten Zeit.

An allen Ecken und Enden teilt MICKEY 17 gegen Protagonisten und Zustände der real durchgeknallten Verhältnisse aus. Dennoch nimmt sich die darin enthaltene Kritik im Vergleich zu dem hintergründigen Meisterwerk PARASITE etwas plump aus.

Mickey 17 (USA 2025). Buch und Regie: Bong Joon-ho mit: Robert Pattinson, Naomi Ackie, Toni Collette u. a.