Blutiger Spaß mit den Smokestack-Twins

Komplex, grell und mit jeder Menge musikalischem und Superhelden-Bombast stellt Ryan Cooglers BLOOD AND SINNERS das schwarzes Hipster- und Gangsterpärchen Smoke und Stack in den Mittelpunkt. Gemeinsam sind sie – beide gespielt von Michael B. Jordan, der in allen Filmen Cooglers dabei ist – in Clarksdale, Mississippi, aufgewachsen. Sie haben sich vor ihrem Vater und dem mörderischen Rassismus der Südstaaten erst an die Fronten des Ersten Weltkriegs und anschließend ins Chicago Al Capones geflüchtet, nur um dort festzustellen, dass die Verhältnisse im Norden dieselben sind wie zu Hause, bloß mit Hochhäusern.

Also kehren sie 1932 in die Provinz zurück, um mit dem Geld aus ihren Beutezügen einen eigenen Juke Joint zu gründen und sesshaft zu werden. Dafür werben sie ihren Cousin Sammy Moore, den gitarrespielenden „Son of a Preacherman“ an und mobilisieren für den ersten Abend in ihrer gerade erstandenen Scheune auch noch alle möglichen anderen lokalen Berühmtheiten und Unterstützer:innen … Aber dass die Musik, gerade wenn sie die Wahrheit sagt, des Teufels ist, weiß man spätestens seit Robert Johnson, an dessen Seelenverkauf sich die Story um Sammy anlehnt.

In einem Feuerwerk aus Ideen aus allen möglichen Genres lässt Coogler seinen Film von einer opulenten Sozialstudie zu einer intelligenten Vampirmär mutieren, fügt jede Menge schwarze und irische Popkulturversatzstücke hinzu und rührt auch noch etwas FORM DUSK TILL DAWN unter, um zum allerletzten Ende wieder sicher in der realen Welt des Jahres 1992 zu landen und über das Geschehene nachzusinnen. Sicherlich ist das alles an der ein oder anderen Stelle etwas überladen. Aber immer bleiben Charakterzeichnung und allgegenwärtige Sehnsucht nach Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Familien oder Systemen glaubhaft und ambivalent genug, um nicht in einfache Schemata von Gut und Böse zu verfallen. Schließlich sind wir, wie es einmal heißt und sogleich eindrücklich demonstriert wird, alle verbunden … Intelligent blutiges Mainstreamkino at it’s best!

BLOOD & SINNERS (USA 2025, 138 min.) Regie: Ryan Coogler mit: Michael B. Jordan, Hailee Steinfeld, Miles Caton u. a.

Bild: Ernest Cole

Dokudrama: Ernest Cole und die Politik des Blicks

1967 veröffentlichte der damals 27jährige südafrikanische Fotograf Ernest Cole in New York ein Fotobuch, das die Welt zum Hinschauen zwang: „House of Bondage“. In ikonischen Aufnahmen enthüllte er den Schrecken der Apartheid in Südafrika und legte die allgegenwärtigen Formen von Repression und Gewalt bloß, mittels derer das weiße Regime die schwarze Bevölkerungsmehrheit unterdrückte. „Dreihundert Jahre weißer Vorherrschaft in Südafrika“, schrieb Cole, „haben uns in Knechtschaft gehalten, uns unserer Würde und unseres Selbstwertgefühls beraubt und uns mit Hass umgeben.“

Seine Fotoreportagen aus dem „Haus der Knechtschaft“ bilden die prekären Lebensumstände von Minenarbeitern und Hausangestellten in weißen Oberschichtshaushalten ebenso ab wie den Alltagsrassismus, der sich überall im segregierten öffentlichen Raum zeigt, etwa in Verbotsschildern, die den unterschiedlichen Zugang für „Whites“ und „Non Whites“ zu Verkehrsmitteln und medizinischer Versorgung, aber auch für die Nutzung von Gehwegen und Parkbänken regeln. Als einer der ersten freien schwarzen Fotografen überhaupt hielt Cole Akte von Gewalt, Enteignung und polizeilicher Willkür fest und bannte die Zerstörung von zu Ghettos erklärten Stadtvierteln, aus denen die Bewohner:innen in wirtschaftlich und kulturell entkoppelte Townships umgesiedelt wurden, in künstlerisch beeindruckende Bilder. Dabei setzte er sich beständig der Gefahr aus, selbst kontrolliert und verhaftet zu werden.

Immer wieder porträtierte er auch Kinder und Jugendliche, denen Bildung, Zukunft und Lebenschancen nur aufgrund ihrer Hautfarbe in ihrem Land verwehrt blieben. Trotz aller Hoffnungslosigkeit, die die Aufnahmen einfangen, betonen sie zugleich die Individualität der Menschen. Häufig fokussiert Cole auf einzelne Personen, die direkt in die Kamera schauen – Jungen, Frauen, ältere Männer, die eine eigene Haltung einnehmen. Indem Cole durch seine Fotografie symbolisch einen Blickkontakt zwischen den Abgebildeten und den Betrachtenden herstellt, bewahrt er diejenigen, die er zeigt, davor, ausschließlich Opfer und Objekt zu sein. Cole sieht die Fotografierten als Menschen, die für ihre Würde einstehen, wodurch wiederum seine Aufnahmen einzigartigen werden.

Die visionäre Kraft dieser Bildserien ist aber nur eine Ebene des Dokumentarfilms ERNEST COLE: LOST AND FOUND von dem in Port-au-Prince/Haiti geborenen Regisseur und Drehbuchautor Raoul Peck. 2024 wurde die überfällige filmische Würdigung des in Vergessenheit geratenen Chronisten der Apartheit auf dem Filmfest in Cannes mit dem Preis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet. Peck, dessen Lebenslauf die Erfahrung des unfreiwilligen Daseins als Exilant prägt, beschäftigt sich vor allem mit dem Teil der Geschichte Coles, der unmittelbar auf die Phase des frühen Ruhms folgt.

Als „House of Bondage“ in den USA erschien, lebte Cole seit einem Jahr in New York. Dorthin hatte er sich mit seinen Negativen im Gepäck absetzen können. Sein Bildband wurde über die USA hinaus vielbeachtet, der Westen musste vielleicht zum ersten Mal überhaupt das Unrecht der Apartheid zur Kenntnis nehmen. Für Cole bedeutete dies einen Triumph: Die Wut über die stille Komplizenschaft des Auslands mit dem südafrikanischen Regime war ein wichtiger Antrieb seiner Arbeit als Fotograf und Aktivist der aufkeimenden Anti-Apartheid-Bewegung. In Südafrika wurde der Band sofort verboten. Zeitlebens war Cole nun die Rückkehr nach Südafrika verwehrt. Gerade weil er sich aber den dortigen Kämpfen und Menschen verbunden fühlte, litt er zunehmend unter der Entwurzelung, die das Exil für ihn bedeutete. Zumal er in der sogenannten freien Welt auf Schritt und Tritt auf rassistische Vorurteile, Benachteiligung und überbordende Gewalt gegenüber Schwarzen stieß. In Reportagen aus den Südstaaten und in vielen Bildern, die er tagtäglich in New York aufnahm, legte er eindrucksvoll Zeugnis davon ab. Hatte er in Südafrika beständig Angst, ins Gefängnis zu kommen, fürchtete er sich bei seinen Reisen in die Südstaaten davor, beim Fotografieren erschossen zu werden.

Immer wieder auf Herkunft und Hautfarbe zurückgeworfen

Zudem litt er darunter, dass die Zeitungen, für die er fotografierte, ihn ausschließlich damit beauftragten, die Armut der Schwarzen zu dokumentieren. Entgegen seines Lebensmottos – “The total man does not live one experience” – fand er sich beständig auf das Schicksal seiner Herkunft und Hautfarbe zurückgeworfen.  Dennoch hörte er nicht auf zu fotografieren und sich für die Menschen um ihn herum zu interessieren, insbesondere für die, die von der Mehrheit aufgegeben wurden. Ihnen wollte er mit seiner Kamera zeigen, dass er sie sieht.

Doch zur Zeit ihrer Entstehung interessierte sich außerhalb des Tagesgeschäfts niemand für Coles amerikanische Fotoserien. Der Ruhm der frühen Jahre war rasend schnell verblasst. Seine Einblicke in den Alltag des schwarzen Amerika galten den weißen Redakteuren und Agenturchefs als zu glatt. Mit nur 49 Jahren starb Cole, der am Ende seines kurzen Lebens in die Obachlosigkeit gerutscht war, 1990 in New York an Krebs. Sein fotografisches Werk galt seitdem als verschollen. Erst 2017, 50 Jahre nach dem Erscheinen von „House of Bondage“, wurden in einem schwedischen Banktresor 60 000 bis dahin unbekannte Negative gefunden, von denen nicht verlässlich geklärt werden kann, wie sie dorthin gelangt sind. Den Cole-Erben und der Öffentlichkeit wurden sie zum Teil erst nach einem längeren Rechtsstreit zugänglich gemacht. Sicher ist jedenfalls, dass sie an Ausdruck und Komplexität den frühen Werken des Fotografen in nichts nachstehen.

Für seinen Film montiert Peck eine Auswahl von Werken aus der gesamten Karriere des Künstlers zu einem dramaturgischem Gesamtzusammenhang und ergänzt sie um Arbeiten anderer Fotografen sowie historischen Interviewsequenzen und dokumentarischen Filmaufnahmen von den sechziger Jahren bis heute. Bewusst verzichtet er darauf, die Geschichte Coles durch „Talking Heads“ – Experten, Zeitgenossen und Weggefährten – erzählen zu lassen, wie er in dem den Pressematerialen beigefügten Interview erklärt. Cole sollte sein Leben und seine Karriere quasi selbst erzählen. Möglich wurde dies nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit Leslie Matlaisane, Ernest Coles Neffen, der dem Filmemacher bisher unbekanntes Material zur Verfügung stellte, darunter auch Coles Notizbuch und seine E-Mails, in denen er die Erfahrung der Ungleichheit und Gewalt reflektiert, aber auch seine nie erstickten Hoffnungen auf Veränderung erwähnt. Es ist der theatergeschulte Schaupieler LaKeith Stanfield, der im Film als Stimme von Ernest Cole fungiert – so wie Samuel L. Jackson in Pecks I AM NOT YOUR NEGROE (2016) James Baldwins seine Stimme leiht.

Sowohl Pecks eigene Erfahrungen mit antirassistischen Befreiungskämpfen und Flucht als auch die intensive Beschäftigung mit dem fotografischen und politischen Vermächtnis seines Protagonisten führen dazu, dass der Ansatz des Film grandios aufgeht. So werden Zuschauer:innen nicht über geschichtliche Sachverhalte belehrt, sondern von einer so emotionalen wie vielschichtigen Erzählung in ihren Bann gezogen.

Ernest Cole: Lost and Found (USA/F 2024) Buch und Regie: Raoul Peck. Mit LaKeith Stanfield.

Zuerst erschienen in der Jungle World #16/2025.