Vor dem Hintergrund der (Bürger-)Kriege und Geflüchtetenströme dieser Welt verfilmt Burhan Qurbani William Shakespeares blutigstes Stück „Richard III.“ als Neuköllner Oper ohne Gesang. Die Hauptrollen besetzt er mit Frauen, und bei den Familien der Häuser York und Lancaster handelt es sich in seiner Version um konkurrierende arabische Clans.
Bereits die Vorgeschichte setzt die traumatisierende Kindheitserfahrung der Protagonistin Rashida mit wuchtigen Bildern in Szene und macht klar, was Qurbani mit seinem Film vorhat. Wie bereits in WIR SIND JUNG. WIR SIND STARK (2014) nutzt er die realen Schrecken der Zeit, um seine Charaktere aufzuladen. War es damals das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen, das als Dekor für einen Reigen von Coming-of-Age-Dramoletten herhalten musste, nimmt das Geschehen nun mit der Bombardierung eines Dorfes in einem kargen Hochland seinen Lauf. Abrupt beendet es das das Spiel vierer Mädchen.

Bandenkrieg in den Straßen und vor Gericht
Jahre später ist der Krieg der nach Berlin geflohenen Familienbanden in den Straßen Berlins blutig eskaliert und nach einer Reihe von Morden in den Gerichtssaal getragen worden. Hier verteidigt die nun erwachsene Rashida (Kenda Hmeidan) als jüngste Tochter und Anwältin der Yorks ihren des Mordes angeklagten Bruder Ghazi (Camill Jammal). Während ihres Plädoyers kommt zu Tumulten, und in der Vorhalle des Gerichts tötet Rashida daraufhin die Bosse der Lancasters.
Triumphierend sieht ihr älterer Bruder Imad (Mehdi Nebbou) den Bandenkrieg damit als von den Yorks gewonnen an und verkündet auf einer Siegesfeier seinen Traum vom Frieden. Um die verfeindeten Familien zu einen, soll Rashida die Ehe mit einem Lancaster eingehen und durch gemeinsame Nachkommen den Frieden zementieren.
Frau sein und andere Makel
Doch Rashida, der durch ihren Makel, als Frau geboren zu sein, der Weg an die Macht versperrt ist, hat andere Pläne. In Settings, die in ihrer ausgestellten Theatralität mal an Fassbinder, mal an Volksbühnen-Inszenierungen der 90er Jahre denken lassen und sich aus der Berliner Realität mehr und mehr in eine staubige Beduinenwelt entfernen, rappt, grummelt und monologisiert sie über diesen Stachel in ihrem Fleisch. Die Kamera fängt sie dabei vorzugsweise in Großaufnahme ein, damit dem Publikum kein Zucken ihrer Mundwinkel und kein Augenrollen entgeht.
Von Imads Versöhnungsinitiative hält Rashida, die ihren vom Shakespeare-Bösewicht Richard übernommenen Charakter nur ausleben kann, wenn sie intrigiert und wütet, wenig. Zumal sie hinter den Aktionen Ihres Bruders dessen Frau Elisabet (Verena Altenberger), eine Deutsche, die sich in den Clan eingeheiratet hat, als Strippenzieherin vermutet – eine Konkurrentin, die sie nicht dulden kann.
Morden für ein Reich aus Dreck
Unterstrichen durch den immerzu dräuend trommelnden, aufdringlich in den Vordergrund gemixten Score Dascha Dauenhauers, die schon die Musik für Qurbanis BERLIN ALEXANDERPLATZ (2020) geschrieben hat, soll das Publikum verstehen: Rashida kennt im Gegensatz zu Imad nichts als Grausamkeit, der Krieg ist ihr von klein auf als zweite Natur mit auf den Weg gegeben.
Unterstützt von ihrer treu ergebenen Amme und Verbündeten Mishal (Hiam Abbass) mordet sie sich durch die Familienhierarchie und beginnt eine Liebesbeziehung mit Ghanima (Mona Zarreh Hoshyari Khah) eine angeheiratete Lancaster, die kurz zuvor durch sie zur Witwe geworden ist. Bald fallen ihr auch die eigenen Brüder zum Opfer, später deren Kinder, bis sie praktisch allein mit der von ihr abhängigen Partnerin übrigbleibt, um ein Reich aus Sand und Dreck zu regieren.
Schicksal und tonnenschwere Symbolik
Selbstverständlich überspannt sie den Bogen, so dass auch sie zuletzt untergeht. Aber das ist der Lauf der Welt, gegen den sie nichts vorzubringen hat und in den sie sich fügt. Was Qurbani in extrem stilisierten Bildern beschwört, ist mörderisches Schicksal, das sich nicht aufhalten lässt. Zumindest nicht, solange Identität, Sippe und Ehre die Schlüsselbegriffe sind, mit denen Menschen nach Verankerung in der Welt suchen.
Vieles an diesen dem Film zugrunde liegenden Ideen ist nachvollziehbar; dass das Drama, das einen Großteil der Shakespeareschen Dialoge und den Gang der Handlung weitgehend übernimmt, als solches funktioniert, versteht sich fast von selbst. Doch leider scheint Qurbani seiner Sache dennoch nicht zu trauen. Anders lässt sich kaum erklären, dass er die sowieso plakative Storyline unentwegt unter Bergen zusätzlicher Symbolik und zur Schau gestellter Bedeutung begräbt.
Wichtigkeitsgebolze, untot
Doch nichteinmal die häufig in Richtung Groteske gehende Übertreibungen scheinen den Wunsch der Regie nach Deutlichkeit befriedigen zu können. Zusätzlich müssen die fünf Akte, in die der Film unterteilt ist, mit das Geschehen überhöhenden Titeln angekündigt werden – auf Tafeln, die Fraktur- und Italic-Schriften mischen, um auch in dieser Beziehung auszureizen, was auszureizen ist.
Von Anfang bis Ende wirkt in „Kein Tier. So Wild.“ alles zu dick aufgetragen. Doch auch Ströme von Blut, die Kleidung, Körper und Böden färben oder als barocke Tableaus aus Körpern, Tattoos und Glitzer ausgestellte Begierde in permanenter Todesnähe schaffen es nicht, dem Film Leben einzuhauchen. Trotz frischer Gesichter und der großartigen Hiam Abbass setzen sich das auf Dauer ermüdende Wichtigkeitsgebolze zu keinem Ganzen zusammen, das einladen würde, sich darauf einlassen zu wollen.
KEIN TIER. SO WILD. (Deutschland, Polen 2025, 142 min) Regie: Burhan Qurbani mit Kenda Hmeidan, Verena Altenberger, Hiam Abbass u. a.