Der Prinz (Isac Calmroth) legt an, schießt und trifft: Wie Amors Pfeil findet seine Poesie ihren Weg direkt ins Herz von Elvira (Lea Myren). Mit einer rosarot eingefärbten Traumsequenz eröffnet Emilie Blichfeldt ihr Spielfilmdebüt THE UGLY STEPSISTER und bereitet damit plastisch vor, worum es darin geht: Dichtung, Schönheit und romantisches Sehnen sind in einer auf Konkurrenz gegründeten Welt vor allem Einsätze im Kampf um Liebes- und Lebenschancen.
Im feudalen Ambiente des Königreichs Swedlandia wird in dieser Adaption des Märchens „Aschenputtel“ alles dem Erreichen der jeweils gesteckten Ziele untergeordnet. Junge, dauernotgeile Männer wie der Prinz sind allzeit auf der Jagd nach (Jung-)Frauenkörpern, die für ihre sexuellen Bedürfnisse optimiert sind. Demgegenüber streben höhere Töchter vor allem nach Absicherung für sich und ihre Familien.
Schmerzen der Selbstoptimierung
Ihre herrschsüchtigen Mütter wachen mit Argusaugen darüber, dass sich in ihre Bemühungen keine Nachlässigkeiten einschleichen. Schließlich sollen sich die Mittel, die sie für Kleider, Perücken, Training und frühe plastische Chirurgie aufwenden, refinanzieren, indem sie ihnen ein angenehmes Leben am Hof ermöglichen. So müssen ihre Mädchen nicht nur gängige Schönheitsideale übernehmen, sondern auch bereit sein, für die ihnen gemäße Zurichtung einiges an Schmerzen zu ertragen – und im Idealfall bei der Selbstoptimierung von sich aus noch manchen Schritt weitergehen.

Blichfeldt nutzt die Märchenvorlage als Bühne für einen Kampf um Anerkennung, der mit aller Härte sehr nah am weiblichen Körper ausgetragen wird – und bisweilen auch in ihm. Es gilt das Motto: Wer als Frau Erfolg haben will, muss schön sein, und wer schön sein will, muss leiden. Im Gegensatz zu den meisten Versionen der jahrhundertealten Erzählung vom Ringen der reinen Tochter mit den verdorbenen Stiefschwestern wählt sie jedoch eine ungewöhnliche Perspektive.
Denn bei den Grimms wie im Disney-Zeichentrickfilm CINDERELLA von 1950 steht allein das Aschenputtel im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die Handlung dreht sich darum, ihre verborgene Schönheit zu enthüllen, die mit ihrer moralischen Überlegenheit einhergeht, und sie am Ende siegen zu lassen. Die hässlichen, von Grund auf bösen Stiefschwestern sind als Antagonistinnen nur Hindernisse, die es zu überwinden gilt. Wenn sie aufgrund ihrer Monstrosität aufs Ärgste leiden müssen, dient das allein als Kontrast zur Erhebung des Aschenputtels in den Himmel von Liebe und Prinzessinnen-Status.
Weder Erzähler noch Zuhörer oder Publikum empfinden Mitleid mit den hässlichen Stiefschwestern. Doch Blichfeld macht ausgerechnet die älteste von ihnen zur Protagonistin und Titelheldin ihres Films. Von Anfang an ist klar, dass Elvira niemals den Vorstellungen von Anmut, Kultiviert- und Schönheit entsprechen kann, die von einer Prinzgemahlin erwartet werden. Genau darin aber findet Blichfeld das Potenzial ihrer Geschichte.
Ekel und Katharsis
Die Rivalität zur strahlend natürlichen Schönheit ihrer Stiefschwester Agnes (Thea Sofie Loch Næss) ist für Elvira Ausgangspunkt einer tour de force des Selbstumbaus, der direkt in die persönliche Katastrophe führt. Dieser Weg ins Unglück entwickelt in der Tat kathartische Wirkung, lässt er das Publikum doch äußerst eindrücklich miterleben, welche Qualen es bedeutet, an unerreichbaren Körpernormen festzuhalten.
Zusätzlich zu mehreren Schönheitsoperationen, bei denen anstelle von Anästhesie eher die Fixierung der Patientin eine wichtige Rolle spielt, beginnt Elvira selbst in ihre Körperfunktionen einzugreifen. So lässt sie in ihrem Verdauungstrakt einen Bandwurm heranwachsen, um essen zu können, ohne zuzunehmen.
Stilistisch orientiert sich Blichfeldts Umsetzung des Stoffs gleichermaßen an der zum Kultfilm avancierten tschechischen Märchen-Adaption DREI NÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL aus dem Jahr 1973 wie am Body-Horror eines David Cronenberg oder einer Julia Ducournau, wie er vor allem in ihrem Schocker TITANE (2021) zum Ausdruck kommt. Auch hier gab es schwer auszuhaltende Bilder von gewaltsamen Manipulationen der eigenen Physiognomie.
Im (langen) Wesen nichts Neues
Dem fügt die Regisseurin als persönliche Note schwebende Kamerafahrten hinzu. So entstehen Stillleben verwesender Buffets und der Leiche von Elviras Stiefvaters, für dessen Beerdigung aufgrund ihres Kampfes um Schönheit kein Geld mehr da ist. Tatsächlich bewahrt dieser Einfall als Referenz an die Tradition der Vanitas-Motivik aus dem Barock den Film davor, allzu sehr ins Slapstickhafte abzudriften, wie es dem Body-Horror-Genre bisweilen eigen ist.
Dominant wie bei den genannten Kino-Vorbildern ist bei THE UGLY STEPSISTER der an 1970er-Jahre-Filmmusiken angelehnte Soundtrack der norwegischen Musikerin Vilde Tuv. In ihm mischen sich Harfe, Pauke und flächig-quäkige Synthesizer mit Geräuschen von Verdauung oder splitternden Knochen und verstärken so die gewünschten Effekte.
So überführt Blichfeld ihre berechtigte, wenn auch nicht ganz neue, Kritik am Schönheitskult mit brachialer Überdeutlichkeit in eine Märchenadaption, die vor allem das Publikum des Horror-Genres ansprechen dürfte. Damit fehlt dem Film leider der Schuss Subtilität, die ihn interessant gemacht hätte. Dadurch zieht er sich zwischen den Schockmomenten insbesondere im letzten Drittel ziemlich in die Länge.
THE UGLY STEPSISTER (Norwegen, Dänemark, Rumänien, Polen 2025, 105 min) Regie: Emilie Blichfeldt mit: Lea Myren, Thea Sofie Loch Næss, Ane Dahl Torp u. a.