Eine schlecht gepfiffene Melodie und das Klappern einer Schere – zunächst ohne Bild, nach einer langen halben Minute wird dann ein Junge mit Segelohren eingeblendet – erzeugen Unbehagen. Dann wird übergeblendet, anstelle des Jungen beim Haareschneiden in der heimischen Küche erscheint ein junger Mann, dem ein Mann – sein Vater – weiter an der behelfsmäßigen Frisur herumfuhrwerkt. Bereits der Auftakt lässt vermuten, dass in den anschließenden gut zwei Stunden des Films FRANZ K. eine Menge Experimentelles, aber eher wenig Erbauliches zu sehen geben wird.

Doch selbstverständlich konnte der Schriftsteller Franz Kafka, um den es hier geht, lachen. Manchmal sogar wie ein Wahnsinniger und an ganz unpassender Stelle – so etwa, als der Präsident der Versicherungsanstalt, für die er arbeitet, ihn belobigt. Da es während dessen gestelzter Rede im Raum unablässig von der Decke tropft, verfällt Kafka, gespielt von Idan Weiss, in einen Lachkrampf, bis nichts mehr bleibt, als zu fliehen. Dieses nicht unterdrückbare Lachen ist vom echten Kafka selbst verbürgt; er beschreibt es in einem seiner Briefe an Felice Bauer, mit der er eine Zeitlang verlobt war, bis er sich gezwungen sah, die für ihn schwierige Bindung zu lösen. In Agnieszka Hollands Film, der von Kafkas verschiedenen Fluchten erzählt, ist es eine von vielen Szenen, die die Psyche ihres Protagonisten auf spielerische Art ausdeuten.

Franz Kafka (Idan Weiss) bei seinem Brotberuf in ­einer Versicherungsanstalt. Hier schreibt er unter anderem Gebrauchsanleitungen und Dokumentationen. Bild: Marlene Film Production, X Verleih AG

Skurriles, Komik und Missverstehen

Eine andere dreht sich um dessen unbedingten Glauben an die Kraft des Wortes. Der führt zu einem Handgemenge mit einem Bettler, der Kafka nach einem Gulden fragt, als dieser in Prag mit seiner Schwester Ottla (Katharina Stark) auf dem Weg ins Theater ist. Er erhält eine Zwei-Gulden-Münze, weigert sich aber, das geforderte Wechselgeld herauszu­geben. Das raubt dem angehenden Schriftsteller völlig die Fassung, da er es als Wortbruch empfindet. Schließlich hatte der andere ihn nach nur einem Gulden gefragt.

In verdichtete Szenen von einiger Komik wird auch die schwierige Beziehung zum Vater Hermann gegossen. Als schwergewichtigen Geschäfts- und Lebemann stellt diesen Peter Kurth dar, einer der deutschen Schauspieler, die tatsächlich über eine zuverlässig abrufbare Leinwandpräsenz verfügen. Seinen Sohn Franz verkörpert der 28jährige Weiss in seiner ersten Hauptrolle in einem Kinofilm. Im Interview bescheinigt Holland ihrem Darsteller, der in Hamburg auch selbst inszeniert, singt, malt und schreibt, außer physischer Ähnlichkeit mit dem ­Autor ein tiefes Verständnis für ihn und eine spirituelle Nähe.

Es sind vor allem die Szenen zwischen Sohn und Vater, die den Film sehenswert machen. Sind beide ­zusammen in einem Raum, zum Beispiel bei den sich in schöner Regelmäßigkeit wiederholenden Familien­essen, reden sie nicht nur aneinander vorbei. Sie scheinen die Worte des je anderen kaum einmal überhaupt zu hören, wodurch jeder Versuch einer Kommunikation unweigerlich in einem kompletten Desaster endet.

Der Film als Mosaik

Leicht nachvollziehbar ist Hollands Entscheidung, Kafkas Leben nicht ­linear nachzuerzählen. Stattdessen hat die Regisseurin ihren Film als Mosaik konzipiert, das sich aus Fragmenten verschiedener Ansätze zusammenfügt. Experimentellere Teile, in denen Bilder aus unterschiedlichen Lebensphasen ineinander übergehen oder die Bildmotive selbst vervielfacht und in kreiselnde Bewegung versetzt werden, wechseln mit dokumentarischen und pseudodokumentarischen Einschüben ab; viele Spielszenen funktionieren wie Metaphern für Gemütszustände.

Die meisten dieser Versatzstücke ergänzen und bereichern einander, einige wenige wie die in die Ka­mera gesprochenen Wertungen aus Kafkas Umfeld wirken eher auf­gesetzt. Holland hat zuletzt für das Drama »Green Border« von 2023 über Flüchtlinge an der belarussisch-polnischen Grenze international An­erkennung erhalten, während das Werk in ihrem Heimatland Polen von Repräsentanten der nationalkonservativen Partei Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit, PiS) absurderweise mit ­NS-Propaganda verglichen wurde.

Eindrücklich ist eine Situation, in der Kafka im Sportboot angespannt gegen die Strömung der Moldau anrudert, während er auf ein Urteil seines Freunds und späteren Verlegers Max Brod (Sebastian Schwarz) wartet. Dem hat er Minuten vorher eine erste Erzählung zur Begutachtung gegeben und ihm dazu erklärt, dass es wahrscheinlich besser wäre, er würde sie nicht lesen. Doch nun kann er die Auslieferung an den Freund nicht mehr rückgängig zu machen. Dabei zweifelt er keineswegs an der Qualität des Texts. Nur dass die Bewertung seines Schreibens, das ihm zum Leben notwendig scheint, nicht bei ihm liegt, zehrt an Kafkas Nerven und kränkt ihn.

Seismograph der Katastrophe der Welt

Bereits im vergangenen Jahr sind zum 100. Todestag des Schriftstellers der Spielfilm DIE HERRLICHKEIT DES LEBENS, eine fiktionalisierte Version seiner letzten Liebe zu Milena Jesenská, und die Fernsehserie KAFKA von David Schalko (Regie) und Daniel Kehlmann (Buch) erschienen. Holland geht es jedoch nicht so sehr um eine weitere Rekonstruktion des Lebens des berühmten Autors. Nach ihrer eigenen Lesart wäre die sowieso von vornherein eine zu viel. Schließlich schildert FRANZ K. auch, dass sich das Verhältnis der Menge an Wörtern, die Kafka geschrieben hat, zu derjenigen, die seither über ihn geschrieben worden sind, inzwischen auf eins zu zehn Millionen belaufe.

m Mittelpunkt des Drehbuchs von Holland und Marek Epstein steht der Wille herauszuarbeiten, wie heutig auch der Mensch hinter dem Werk gewesen sei. Zwar werden Auszüge aus verschiedenen Erzählungen präsentiert, in denen Kafka wie kein anderer die sich selbst speisende Systemhaftigkeit der modernen Welt in Literatur überführt und sich als Seismograph der in ihr angelegten Katastrophe erweist. Im Fall von „In der Strafkolonie“ werden sie sogar in einen eigenen Film im Film überführt. Weit mehr aber liefert FRANZ K. Bilder für die Ängste und Neurosen seines Titelhelden, für dessen Depressionen, aber auch sein unbedingtes Vertrauen aufs eigene Urteil sowie seinen Humor, der Situationen sprengt.

Gnadenlos heutig

Nicht nur in den schwierigen Liebesverhältnissen, die gleichermaßen von spontaner Verliebtheit und von schnell einsetzenden Fluchtreflexen geprägt sind, nutzen Holland und Epstein Kafkas Gebaren als Blaupause für ausgesprochen heutiges (Kommunikations-)Verhalten. Dass ihr Kafka seine Briefe mit dem Füller schrieb, während wir unsere Gedanken in digitale Nachrichten und ­Threads tippen, ist ein vernachlässigbarer Unterschied, schließlich geht es bei alldem in erster Linie darum, zwar fleißig Bedeutungswelten zu ­errichten, dabei aber von vornherein die von Angst vor Versagen und Peinlichkeit belastete persönliche Begegnung zu vermeiden.

Als größter und tatsächlich im Wortsinn kafkaesker Witz erweist sich, was der Film in zunächst nüchternen dokumentarischen Betrachtungen schildert, die sich allerdings bald ins Surreale verzerren: der Umgang der Nachgeborenen und seiner Heimatstadt Prag mit ihrem zu Lebzeiten kaum beachteten Sohn. Kafka hatte testamentarisch verfügt, alles, was er geschrieben hat, zu vernichten, doch Brod hat sein Werk bekanntermaßen für die Nachwelt gerettet. Das brachte Kafka posthume Anerkennung ein, legte aber auch den Grundstein für eine regelrechte Kafka-Industrie.

Seit 1989 prangen der Name und das Konterfei des Autors nicht nur auf Tassen, T-Shirts und Postkarten. In Prag, das Kafka im Film als Geliebte mit gefährlichen Krallen bezeichnet, sind ihm absurde Denkmäler und ein Museum gewidmet, außerdem touristische Touren und Schnellrestaurants, die damit werben, in ihnen könne man essen, wie es Kafka befürwortet habe. Ein weiteres Mal erweist sich die Totalität des Zusammenhangs, dem niemand entrinnen kann. Selbst Zweifel und Verweigerung werden früher oder später ins Zentrum des Systems integriert und dort vermarktet.

FRANZ K. (Tschechien 2025). Drehbuch: ­Marek Epstein und Agnieszka Holland. Regie: Agnieszka Holland. Darsteller: Idan Weiss, Peter Kurth, Carol Schuler, ­Jenovéfa Boková.