Die Filme von Kelly Reichardt erkennt man innerhalb weniger Augenblicke an der Art, wie sie ihre Figuren dem Weltgeschehen aussetzen. Ob Öko-Thriller, Western oder nun Kriminalfilm: Stets sind die Protagonisten das Gegenteil von Helden, immer werden die Regeln des jeweiligen Genres am Alltäglichen ge­brochen, dessen Sicherheiten jedoch trügerisch oder in Auflösung begriffen sind. Der Blick, der sich daraus auf die Umwelt ergibt, ist tastend und auf der Suche nach Halt.

So auch in dem heist movie THE MASTERMIND, der bis aufs Äußerste entschleunigt von einem Raubüberfall, seiner Vorbereitung und den Nachwirkungen erzählt. ­Zumindest das hat er mit Genreklassikern wie Jules Dassins RIFIFI (1955), Quentin Tarantinos RESERVOIR DOGS – WILDE HUNDE (1992) oder Steven Soderberghs OCEAN’S ELEVEN-Reihe (ab 2001) gemein, die mit ihren mal mehr, mal weniger stark zur Identifikation einladenden Schurken das heist movie geprägt haben.

J. B. inspiziert die Sicherheit der Gemälde in der stdtischen Galerie. Bild: © 2025, Ryan Sweeney/ Mastermind Movie Inc.

Ort der Handlung ist eine Kleinstadt im neuenglischen Massachusetts in den siebziger Jahren. Gemeinsam mit seiner Familie besucht der arbeitslose Tischler James Blaine Mooney (Josh O’Connor), genannt J. B., das örtliche Kunstmuseum. Mehrere Minuten währt die Anfangs­sequenz, in der er wie in Echtzeit die Räumlichkeiten und Sicherheits­vorkehrungen des Hauses erkundet. Während ein Wachmann seine Schicht verschläft, die beiden Kinder von J. B. über die Flure toben und seine Ehefrau Terri (Alana Haim) auf einer Sitzgruppe ausruht, stiehlt er wie zur Probe eine etwa salzstreuergroße Plastik aus einer Schubladenvitrine. Sein Motto: „Wenn man nicht erwischt wird, ist es auch nicht Stehlen.“

Treibender Score und eine lebensverändernde Chance

Untermalt wird das Geschehen wie der gesamte Film von einem im Wesentlichen aufs Schlagzeug re­duzierten, treibenden Score des Jazzmusikers Rob Mazurek. Während im ganzen Land junge Männer für den Dienst in Vietnam eingezogen werden und sich immer lautere Proteste gegen den Krieg in dem weit von den USA entfernten Land formieren, ist der leger-schick gekleidete Mooney, Sohn aus gutem Haus, ganz mit sich und der eigenen maskulinen Coolness beschäftigt, die sich in der Hauptsache aus der Genialität speist, die er sich selbst bescheinigt. Sein Coup soll ihm zu finanzieller Unabhängigkeit und einem entspannten Leben mit Terri und den Söhnen verhelfen. Was er vor sich sieht, ist die lebensverändernde Chance.

Bis dahin muss er sich beim Sonntagsessen im Haus der Eltern vorhalten lassen, dass er nicht so erfolgreich ist wie der Rest der Familie. Doch nie würde er sich herablassen, als Angestellter in irgendeinem Büro zu arbeiten! Dumm nur, dass er ­keine Einnahmen erwirtschaftet und daher auf ein Darlehen angewiesen ist, das seine Mutter ihm hinter dem Rücken des Vaters zugeschanzt hat. Selbstverständlich wird er es bald zurückzahlen, denn J. B. hat schließlich einen Plan, in dem auch seine Freunde Fred (John Magaro) und Sam (Ryan Homchick) eine Rolle spielen.

Bruch mit den Konventionen des (Thriller-)Genres

Aber es kommt, wie man es hat ahnen können: Am Tag des Kunst­raubs läuft wenig wie geplant und bald sieht sich J. B. der Verfolgung durch zwei unorthodoxe Cops ausgesetzt, die eigens aus New York City angereist sind, um ihn zur Strecke zu bringen. Obendrein muss er zur Kenntnis nehmen, dass er sich auf die Loyalität seiner Komplizen keineswegs verlassen kann.

Auch die Beziehung zu Terri, die in konspirativen Treffen mit »den Jungs« im Keller auf die Probe gestellt wurde, beginnt zu kriseln. Als sich J. B. gezwungen sieht, vor seinen Verfolgern Reißaus zu nehmen, hat sie endgültig genug von ihm. Einzig in Sohn Tommy (Jasper Thompson) hat J. B. noch einen Bewunderer.

Wie bereits in NIGHT MOVES (2013), in dem das Leben dreier Ökoterroristen in Oregon nach der erfolgreichen Sprengung eines Staudamms aus dem Ruder lief, oder FIRST COW (2019), mit dem Reichardt den Western gegen den Strich bürstete, bricht sie auch in ihrem neunten Film, der auf eigenem Drehbuch basiert, die Konventionen des (Thriller-)Genres.

Häufig folgen die Bilder dem suchenden Blick der Figuren, die nicht so recht fassen können, wie ihnen geschieht. In den oft unübersichtlichen Szenerien bleibt es dem Publikum überlassen, sich zurechtzufinden und die handelnden Personen in den Blick zu nehmen. Dann wieder heftet sich die Kamera von Christopher Blauvelt, der auch schon mit Sofia Coppola, Todd Haynes und Gus Van Sant gearbeitet hat, dem Protagonisten fast penibel an die Fersen. Sie steigt mit J. B. auf dem Weg nach Westen in klapprige Straßenkreuzer oder Überlandbusse, sie begleitet ihn in wenig anheimelnde Pensionen und aufs Land zu Freunden von ­damals.

Gnadenloser Naturalismus, Kampf ums Überleben

Einmal in Gang gesetzt, ist der Fahndungsapparat gnadenlos effektiv und lässt das böse Ende des Kunstraubs schnell vorhersehen. Die Spannung resultiert denn auch nicht aus der Frage, ob J. B. den Kopf zuletzt aus der Schlinge ziehen kann, in die er ihn selbst gelegt hat. Ergreifend anzusehen ist dagegen, wie der Protagonist sich trotz der Erkenntnis seines unaufhaltsamen Abstiegs ­bemüht, die Contenance zu wahren.

Aber auch hier ist Reichardt in ihrem Naturalismus gnadenlos. Obwohl seine Flucht J. B. auch in komische und anrührende Situationen führt, überwiegen mit der Zeit doch die Momente, in denen er sein letztes bisschen Selbstachtung dem Kampf ums Überleben unterordnen muss. Denn an keiner Stelle überhöht die Regisseurin ihren nie ganz erwachsen gewordenen Antihelden. Von Anfang an neigt er zu einer Überheblichkeit, die allein durch sein – letztlich halbherziges – Bemühen, Terri und den Kindern ein guter Mann und Vater zu sein, etwas gemildert wird.

In die Enge getrieben, sieht er sich genötigt, Ehre und Anstand, wie er sie versteht, ganz hinter sich zu lassen. Und wie im richtigen ­Leben kommt am Ende eine Portion Pech dazu. Auch der Untergang des Antihelden vollzieht sich ohne großes Drama, dafür mit leiser Ironie.

Hauptdarsteller Josh O’Connor ist die Rolle des J. B. wie auf den Leib geschneidert. Einen Kunsträuber ganz eigener Prägung spielte der Brite, der für seine Darstellung des Prinzen Charles in der Serie »The Crown« einen Golden Globe und einen Emmy Award als bester Schauspieler erhalten hat, bereits in Alice Rohrwachers im Italien der achtziger Jahre angesiedeltem magisch-radikalem Drama LA CHIMERA.

Einzig zu bemängeln wäre vielleicht, dass O’Connors Filmpartnerin Alana Haim kaum Möglichkeiten ­erhält, ihr Talent unter Beweis zu stellen. Mit seiner dramaturgischen Konsequenz überzeugt Reichardts lakonischer slow trip auf ganzer Linie, nicht zuletzt weil er Einblicke ins Leben der ländlichen USA der analogen Siebziger gibt.

THE MASTERMIND (USA 2025, 110 min.) Buch und ­Regie: Kelly Reichardt. Darsteller: Josh O’Connor, Alana Haim, John Magaro u. a.