Schon der Auftakt ist furios: Auf einer von Teenagern bevölkerten Party folgt die Kamera in einer langen gleitenden Einstellung entlang klirrender Gläser, Unterhaltungen am Pool und geräumiger Zimmerfluchten einem jungen Mann auf der Suche nach einem gewissen Duckett. Um ihn zu finden, muss er zunächst eine Tür aufbrechen, was eine Menge sensationsheischender Schaulustiger zum Zücken ihrer Handykameras animiert. Doch sobald Duckett auftaucht, explodiert die Gewalt, eine Kette unvorhergesehener Ereignisse wird in Gang gesetzt, samt einem äußerst unschönen Selbstmord und jeder Menge Panik.

Sophie Wilde als Mia in „Talk to me“ Bild: (c) Capelight Pictures

Dazu gesellt sich eine Szene, in der ein junges Paar ein angefahrenes Känguru-Jungtier auf der Straße findet; sie wollen es erlösen und bringen es doch nicht fertig, es zu überrollen. Binnen weniger Minuten sind so nicht nur einige der wichtigsten Ingredienzien des auf Filmfestivals gefeierten Filmdebüts der Zwillingsbrüder Danny und Michael Philippou etabliert – wie jugendliche Social-Media-Fixiertheit, Wahnsinn und Schockmomente –, die Zuschaue­r:innen sind auch tief in die Welt australischer Heranwachsender der Gegenwart hineingezogen worden.

Ganz kann »Talk to Me« die Geschwindigkeit des Anfangs nicht halten, aber das wäre vielleicht auch zu viel verlangt. Dennoch wartet die Geschichte, die sich um die in einer wohlsituierten Vorstadtgegend von Adelaide aufwachsenden Hauptfiguren Mia (Sophie Wilde), Jade (Alexandra Jensen) und Riley (Joe Bird) dreht, mit vielen weiteren bösen Überraschungen, drastisch in Szene gesetzten Angst- und Horrormomenten und bis zum Schluss nicht nachlassender Spannung auf.

Zwei Jahre bevor die filmische Handlung einsetzt, hat die 17jährige Mia ihre Mutter verloren. Seither liegt eine düstere Stimmung über dem Heim, das sie mit ihrem Vater Max (Marcus Johnson) teilt, weshalb sie den größten Teil ihrer Zeit bei ihrer besten Freundin Jade verbringt. Auch wenn diese mittlerweile mit Mias ehemaligem Freund Daniel (Otis Dhanji) zusammen ist, geht Mia weiterhin wie ein Familienmitglied bei Jade ein und aus, diskutiert mit ihr oder ihrer Mutter Sue (Miranda Otto) in der Küche und im Mädchenzimmer die Fragen des Lebens. Ab und zu kümmert sie sich auch um Jades vier Jahre jüngeren Bruder Riley, mit dem sie besonders eng verbunden scheint.

Als die Mädchen in ihren Social-Media-Kanälen auf Videos stoßen, die besessene Reaktionen von Mitschülern zeigen, die an Séancen teilgenommen haben, halten die Freundinnen diese für Fakes, aber vor allem Mia drängt es, selbst an einer solchen Sitzung teilzunehmen. Neben dem Spektakel, das sie reizt, macht sie sich insgeheim Hoffnungen auf spirituelle Erfahrungen, um mit sich und der Welt ins Reine zu kommen.

Im Mittelpunkt des Rituals, an dem sie am nächsten Abend im Haus eines Mitschülers teilnehmen, um das Tor zur Geisterwelt aufzustoßen, steht die Skulptur einer Hand. Es soll sich um die einbalsamierte Hand eines Verrückten handeln und die Zeremonie soll folgendermaßen ablaufen: Während die Anwesenden im Halbkreis um den Tisch mit der Hand herum sitzen und auf Spasmen, diabolisches Gelächter und verdrehte Augen warten, die sie filmen wollen, hält eine Person freiwillig die Hand und sagt die Worte: »Sprich mit mir!«

Mehr oder genauere Informationen braucht es nicht, da sowieso alles nur ein riesiger abgedrehter Spaß ist, außer vielleicht noch den Hinweis, dass die nächste Stufe der Kontaktaufnahme darin besteht, dem Geist, sobald er erscheint, die Kontrolle über das eigene Selbst anzubieten. Was dann geschieht, sieht für die zuschauende Meute vor allem nach dem ersehnten Wahnsinn aus: Daniel, der bekennende Christ und Abstinenzler, scheint von einem offensichtlich schwer sexualisierten Geist gelenkt, wenn er zur Belustigung der Anwesenden leidenschaftlich den im Wohnzimmer herumscharwenzelnden Familienhund knutscht. Spätestens nach 90 Sekunden muss der Spaß allerdings abgebrochen werden, damit sich die gerufenen Geister nicht dauerhaft einnisten.

Mia ist praktisch von Anfang an klar, dass sie nicht nur zuschauen, sondern selbst Kontakt aufnehmen muss. Ist sie bislang die verhuschte und vom Unglück verfolgte Außenseiterin in der Gruppe, beschert ihr der erwachende Enthusiasmus nun ungeteilte Aufmerksamkeit. Und wie erwartet begegnet sie im Spalt zwischen Diesseits und Jenseits dem Geist ihrer Mutter (Alexandria Steffensen). Diese Erfahrung ist nach dem ersten Erschrecken so überwältigend, dass es einiger Kraftanstrengungen des wenig empathischen Zeremonienmeisters bedarf, Mias Griff wieder von der toten Hand zu lösen, so dass sie ihre Séance um einige Sekunden überzieht.

Mia wird süchtig nach dem Kick. Auf die erste Sitzung muss schnellstmöglich eine weitere folgen, diesmal im Haus von Jade. Schon am nächsten Abend kann der Spuk von Neuem beginnen. Dieses Mal geht allerdings einiges schief, weil Mia im Bann ihrer Mutter steht und sich nicht bremsen kann. Leidtragender ist am Ende der schüchterne Riley. Mit Mias Einverständnis und gegen den Willen seiner Schwester Jade überwindet er seine Angst, für die er von Freunden oft gehänselt wurde, und öffnet sich den Geistern – mit höchst unguten Folgen.

Wie es das Genre verlangt, muss man die schemenhafte Existenz des Mysteriösen zunächst mal als eine Realitätsebene der Handlung akzeptieren. Dann aber gelingt es den Brüdern Philippou, die vielen losen Fäden raffiniert zu verknüpfen und den Horror aus dem Totenreich mit den diffusen, durch Social-Media-Trends noch verstärkten Ängsten von Teenagern zu verbinden. Altersmäßig sind die jungen Regisseure nah genug an ihren Charakteren, um diese in ihrer Irritierbarkeit und übersteigerten Egozentrik beeindruckend authentisch zu inszenieren.

In US-amerikanischen Kritiken wurde bemängelt, der Filme interessiere sich zu wenig für eine Jugendkultur, in der das Teilen krassester Inhalte in den sozialen Medien zur Währung der Coolness geworden ist. Als erfolgreiche Youtube-Stars und Betreiber des Kanals »RackaRacka«, in dem die Brüder komödiantische Horror-Dramoletts vorführen, müssten die Philippous doch wissen, worum es geht. Es kann jedoch gerade als Stärke der Erzählung gewertet werden, dass dieser Aspekt nicht moralisierend in den Vordergrund tritt.

Überzeugend agieren die jugendlichen Schauspieler, allen voran Sophie Wilde, die schon in der BBC-Serie »You Don’t Know Me« eine Hauptrolle gespielt hat, und der tatsächlich noch sehr junge Joe Bird. Filmtechnisch passt vom Schnitt bis zu den furchteinflößenden Geräuschen wirklich alles. Nur ganz am Ende gibt es mindestens einen erzählerisch-atmosphärischen Schlenker zu viel, der dem Film, wenn man zu ernsthaft darüber nachdenkt, einiges an Plausibilität nimmt. Als atemberaubender und mitunter geradezu schmerzhaft anzusehender Genrefilm taugt »Talk to Me« aber allemal, zumal er genau das tut, was guten Horror ausmacht: starke Metaphern für die Schrecken der Welt seiner Charaktere zu finden.

Talk to Me (AUS 2022). Regie: Danny und Michael Philippou. Darsteller: Sophie Wilde, Alexandra Jensen, Joe Bird. Kinostart: 27. Juli

Erschienen im Dschungel der Jungle World29/2023