Als der Sturm sich gelegt und der Regen nachgelassen hatte, machte Erri sich auf den Weg. Kam von seinem Berg nach Mitte hereingelaufen, überquerte die Museumsinsel und erreichte pünktlich die Staatsoper, um nach dem Pandemie-Prozedere am Einlass vor der Vorstellung noch in Ruhe einen Rotwein (Tempranillo, 8 Euro) genießen und sich ein Bild vom anwesenden Hauptstadtpublikum machen zu können. Ferragamo-Gürtel mit Armani-Jeans ging gar nicht, dachte er. Aber das war ja sowieso klar, und die Schönheit sollte ja erst noch kommen.
Kam sie auch. Blick und Platz waren gut; allein bei der Forsytheschen ersten Hälfte des Programms konnte Erri sich mit Thom Willems „eigens für diese Choreographie entwickelt[en]“ (Programmheft) elektronischen Klängen partout nicht anfreunden. Nervig synthetisch, dünn und löchrig schienen ihm die.
In der Pause ging es hinaus auf der Balkon über Unter den Linden. Hell stand der Vollmond neben dem Fernsehturm. Die UFO-Flotte auf seinem Bild entdeckte Erri erst am nächsten Tag, als er seiner Lebensgefährtin die Stimmung in der Stadt nach dem Sturm, die sie verschlafen hatte, wenigstens visuell vermitteln wollte.
Dann war es soweit. „Strong“ von Sharon Eyal begann auf der dunklen Bühne. Wie ein aus vielen Körpern zusammengesetztes Ganzes vibrierte, zuckte und pulste es zu bassigtiefen Berghainsounds. Es drehte, nickte, wendete sich der Metaorganismus: Erri konnte nicht anders, als mit dem Fuß mitzuwippen, und musste sich zwingen sitzenzubleiben. Arme, Hände, Beine, Köpfe federten, Solisten lösten sich, wurden zurückgeholt, dann büchste die Primaballerina doch aus, trippelte neugierig nach vorn weg – und der Vorhang fiel. Schluss, selbstverständlich viel zu schnell. Aber das hätte Erri auch nach der doppelten Laufzeit noch behauptet.