Noch ein Doppel. Diesmal zu Frauenpower und dem steinigen Weg zur Emanzipation. Die eher vorhersehbare englische Komödie „Kleine schmutzige Briefe“ nutzt einen verbürgten Kriminalfall der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts für ein familientaugliches Feelgood-Movie um einen Shitstorm lange vor Erfindung des Internets. Sehenswert ist sie allein wegen des überragenden Schauspieler:innensembles.

Stilistisch weit mehr wagt da Paola Cortellesis Tragikomödie „Morgen ist auch noch ein Tag“. Sie steht in der Tradition der Commedia all’italiana, bedient sich aber auch bei Musical und magischem Realismus.

Plakat: (c) Tobis Film GmbH

„Guten Morgen, Ivano“, sind die ersten Worte, die Delia (Paolo Cortellesi) am Morgen an ihren Mann (Valerio Mastandrea) richtet. Dafür versetzt er ihr eine schallende Ohrfeige mit der Rückseite der Hand, die sie fast aus dem Bett wirft. Aus purer Gewohnheit, wie schnell klar wird. Oder, wie Delia selbst immer wieder entschuldigend sagt, weil er nach zwei durchlebten Kriegen eben etwas angespannt ist. Wie die gesamte italienische Gesellschaft.

Denn nicht nur durch die Schläge ihres Mannes wird die Mutter dreier Kinder, die den Tag über von einem Job zum nächsten hetzt, in ihre Schranken verwiesen. Auch in der Werkstatt, in der sie Regenschirme repariert, erhält sie wesentlich weniger Lohn als der ungeschickte Neue, den sie nebenbei anlernt. Aber sich darüber zu beschweren bringt nichts. Schließlich ist er, wie ihr Boss lapidar erklärt, ein Mann. Dagegen kommt weder an, dass Delia besser und belastbarer ist, noch ihre bereits dreijährige Betriebszugehörigkeit.

Überbordender Ideenreichtumg

Angesiedelt in einem in neorealistisch anmutendem Schwarzweiß bebilderten Rom des Jahres 1946 gerät Regisseurin, Mitdrehbuchautorin und Hauptdarstellerin Cortellesi ihr Debutfilm über häusliche Gewalt und Frauenunterdrückung dennoch nicht zur schwerverdaulichen Tragödie. Vielmehr siedelt sie ihre Fabel vom Aus- und Aufbruch einer Frau im Genre der Commedia all’italiana an, einer italienischen Spezialität der 50er und 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Filme wie „Scheidung auf Italienisch“ (1962) mit Marcello Mastroianni oder „Signore e Signori“ (1965) von Pietro Germi behandelten eigentlich dramatische Themen mit komödiantischen Mitteln und sezierten dabei satirisch die Lebensweise des (Klein-)Bürgertums.

Allerdings geht Cortellesi über Untertöne und Genreanleihen weit hinaus. Für alle Schrecken und jede Hoffnung hat sie eine neu Regieidee. Das fängt beim 4:3 Format an, mit dem der Film vor dem Vorspann einsetzt, um das Publikum mit der Enge der Verhältnisse vertraut zu machen. Dann weitet sich zwar das Bild und passt sich damit an heutige Sehgewohnheiten an. Trotzdem ändert sich an der Ausweglosigkeit der Situation über lange Strecken wenig.  

Enge und Entkommen

Von früh bis spät ist das Leben von Armut und Entbehrungen geprägt. Delia muss sich, wie die anderen Frauen der Stadt auch, in Schlangen reihen und anstehen, um das Nötigste zum Leben zu besorgen. Später kocht und bohnert sie, während Ivano sich mit anderen Frauen vergnügt oder auf dem Platz Karten spielt. Dafür erntet sie nichts als Häme und Kritik. Neben der Kindererziehung muss sie außerdem den Schwiegervater pflegen. Der ist bettlägerig, heult den „schneidigen Faschisten“ hinterher und versucht, wann immer es geht, sie zu begrabschen.

Aber trotz allem ist da etwas, dass sie nicht den Lebensmut verlieren lässt. Zunächst zeigt es sich neben der beschwingten Inszenierung von Alltagstätigkeiten vor allem in Chansons und Musikstücken unterschiedlichster Epochen und Stilrichtungen. Von pathostriefenden Schmonzetten bis zum akkurat-kraftvollen Beat der Jon Spencer Bluesexplosion umkreisen und ironisieren die Songs das Geschehen, in dem Delia ohne Ausweg gefangen scheint.

Besonders wirkungsvoll zeigt sich das in Szenen, in denen Ivano seine Frau brutal verprügelt. Diese werden nicht in naturalistischer Gewalttätigkeit geschildert, sondern gleichsam transzendiert als Musicalchoreographie in Szene gesetzt, natürlich zu einer besonders schmachtvollen Canzone. Jeder Schlag wird so zum Tanzschritt, jeder Sturz zur Pirouette, jede Verletzung scheint präzise exekutiert. Leichter verdaulich macht das das Ganze jedoch nicht. Im Gegenteil führt die Abstraktion dazu, dass man sich mit den Schmerzen (und der immer wieder trügerischen Hoffnung, dass sie nicht eintreten) erst recht auseinandersetzt.

Dabei gibt es durchaus Möglichkeiten, die auf Veränderung hindeuten. Einmal ist da Delias beste Freundin, eine Marktfrau, die ihren Ehemann gänzlich domestiziert hat. Von ihr wird sie ermuntert, Ivano zu verlassen. Dann wartet mit einem Automechaniker ein ihr ergebener alter Verehrer auf sie, um mit ihr durchzubrennen. Und ein amerikanischer GI, der durch einen Zufall auf ihre blauen Flecken aufmerksam wird, bemüht sich ebenfalls um sie. Doch wie es seit Generationen romantisch grundierte Tradition ist, setzt Delia darauf, auszuharren und darauf zu hoffen, dass sich für ihre Tochter (Romana Maggiora Vergano) schließlich alles zum Besseren wenden wird.

Romantik und Katharsis

Erst als sich abzeichnet, dass auch deren Wahl eines Bräutigams aus reicherer Familie in dieselbe Falle führen wird, in die sie einst geraten ist, entschließt sich Delia, doch Maßnahmen zu ergreifen. Sie entwickelt einen Plan, der einerseits deutlich explosiver ist als eine individuelle Flucht aus schlechten Verhältnissen und andererseits viel nachhaltiger. Zu tun hat er mit einem Brief, den Delia eines Tages an sie gerichtet im Briefkasten gefunden hat – eine Situation, die sie so verunsichert, dass sie ihn sofort wegschmeißt und erst später wieder aus dem Abfall rettet. Seinen Inhalt, der vor allem vor Ivano geheim gehalten werden muss, erfährt auch das Publikum erst im großen, systemverändernden Finale.

Mit ihm geht Cortellesis Film über die persönliche Befreiung seiner Heldin hinaus und schafft den Anschluss an die gesamtgesellschaftliche Entwicklung im Italien der späten 40er-Jahre hin zu Frauenwahlrecht und Emanzipation. Der Titel ist übrigens ein Verweis auf ein Mantra Scarlett O‘Haras aus „Vom Winde verweht“ (1939): Mit „Schließlich, morgen ist auch noch ein Tag“, gibt sie unter anderem ihrer Hoffnung Ausdruck, den Mann zurückzuerobern, der sie zuvor vergewaltigt hat.

„Morgen ist auch noch ein Tag“ war im letzten Jahr in Italien der Kassenhit – weit vor „Barbie“ und „Oppenheimer“. Aufgrund seines unbändigen Ideenreichtums und der befreienden Wirkung des Endes verzeiht man ihm einige kleinere Drehbuchschwächen auf dem Weg dorthin gern.

Morgen ist auch noch ein Tag, Regie: Paola Cortellesi (118 min) mit Paola Cortellesi, Valerio Mastandrea, Romana Maggiora Vergano u. a.