Rio de Janeiro, Anfang der siebziger Jahre. Das Leben des Architekten Rubens Paiva (Selton Mello) und seiner Ehefrau Eunice (Fernanda Torres) mitsamt ihren fünf Kindern ist von Wohlstand geprägt. Im feinen Sand des Strands, an dem ihr geräumiges von Angestellten geführtes Haus liegt, wie bei Einladungen im progressiven Freundeskreis gestaltet sich der Alltag sportlich-unbeschwert und liebevoll.
Dass im Land seit 1964 eine Militärdiktatur herrscht und Repression und schwerste Menschenrechtsverletzungen zum Politikstil des Regimes um den Präsidenten Emílio Garrastazu Médici gehören, verblasst zunächst gegen die satten Farben von Meer und Vegetation, hippieske Garderoben und Interieurs voll mit Büchern und Schallplatten.
Immer wieder werden Partys, Beachvolleyball-Spiele, schnittige Coupés und leuchtendgelbe VW-Käfer im verwaschenen Super8-Look gezeigt, in dem die älteste Tochter Vera (Valentina Herszage) Modernität und Leichtigkeit von Familienleben und studentischer Jeunesse Dorée festhält. Gern wird die gesamte Familie zusammengerufen, um gutgelaunt für eine Gruppenbild zu posieren.

Alile Onawale, VideoFilms, DCM
Der Flug eines Militärhubschraubers übers Meer, ein bedrohliches Bild, das auf die Praktiken des Verschwindenlassens in lateinamerikanischen Diktaturen verweist, stimmt das Publikum auf das kommende Unheil ein. Eines Tages stehen bewaffnete Männer im Wohnzimmer der Familie und nehmen Rubens mit, weil er, wie es heißt, eine Aussage machen soll. Er wird nie wieder auftauchen.
Der Film FÜR IMMER HIER des brasilianischen Regisseurs Walter Salles basiert auf dem autobiographischen Roman „Ainda estou aqui“ (so auch der Originaltitel des Films, im internationalen Vertrieb I’M STILL HERE) von Marcelo Rubens Paiva, dem Sohn des vom Militär gefolterten und ermordeten Bauingenieurs und linken Politikers Rubens Beyrodt Paiva und seiner Frau Eunice.
Salles’ persönliche Verbindung zu der Familie und deren Geschichte prägt den Film: „Das Verschwinden Rubens’ war ein Schock, er war der erste Vater im Freundeskreis, der verschwand“, erzählt der Regisseur in dem den Presseunterlagen beigegebenen Interview. „Mir wurde mit der Zeit klar, dass die Geschichte der Familie Paiva die Geschichte einer zerrütteten Sehnsucht nach einem Land war. In ihrem Haus konnte man die Energie der Ideale der frühen sechziger Jahre in Brasilien spüren – Ideale, die im Wesentlichen auf Freiheit und Inklusion beruhten, wie sie zu dieser Zeit in vielen Teilen der Welt aufkamen, aber formuliert entsprechend unserer eigenen brasilianischen Identität.“
Wandlung von der liebenden Frau und Mutter zur unbeirrbaren Menschenrechtlerin
Mit der Verhaftung konzentriert sich die Filmhandlung ganz auf die von Fernanda Torres verkörperte Eunice und ihre Wandlung von der liebenden Frau und Mutter zur unbeirrbaren Menschenrechtlerin. Die Schergen des Regimes sind nicht nur gekommen, um ihren Ehemann mitzunehmen, fürs Erste quartieren sich die Agenten in ihrem Haus ein. Im Bestreben, die Kinder nicht zu ängstigen, wächst Eunice in dieser Situation über sich selbst hinaus.
Mit jeder Geste bemüht sie sich, so zu tun, als ob alles seinen gewohnten Gang gehe. Sie spricht freundlich mit dem Feind in den eigenen vier Wänden und bewahrt selbst dann noch die Contenance, als sie und ihre zweitälteste Tochter zur Vernehmung abgeholt werden. Es folgen Autofahrten unter blickdichten Kapuzen, Verhöre, die zunächst noch förmlich beginnen, dann aber immer feindseliger werden, einsame Tage der Isolationshaft in einer fensterlosen Zelle, in der sich jedes Zeitgefühl aufzulösen scheint.
Tochter und Mutter haben vergleichsweise Glück und werden wieder nach Hause entlassen. Aber die Erinnerungen an die Stimmen und Schreie im Gefängnis lassen sich nicht so einfach abschütteln. Je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger wird es für die Mutter, die Notlügen über den Verbleib des Vaters gegenüber den Kindern durchzuhalten.
Oscar für die beste internationale Produktion
Die große Stärke des gerade mit dem Oscar für die beste internationale Produktion ausgezeichneten Films ist die unaufgeregte, fast schon dokumentarische Erzählweise, die den Schrecken der Diktatur allmählich in die Normalität der fortschrittlichen brasilianischen Oberklasse einsickern lässt. Trotz seiner Blicke aufs Meer und in den Himmel mutet der Film in weiten Teilen wie ein Kammerspiel an, das von einer erzwungenen Politisierung seiner Protagonistin handelt.
Rubens hatte stets versucht, seine Ehefrau aus seinen politischen Aktivitäten herauszuhalten; lieber schwärmt er den vier Töchtern und dem Sohn vor, sie sei „die schönste Frau der Welt“. Und sie hat ihrerseits nicht gefragt. Auf Anraten von Freunden wird Vera zum Studium nach London geschickt und alle tun so, als habe das nichts mit der Gefahr zu tun, in der die junge Frau als Tochter eines Dissidenten schwebt, sondern mit den Vorzügen der Metropole der Popkultur.
Torres verkörpert Eunice und ihren Bewusstwerdungsprozess, der sie schließlich noch spät Jura studieren lässt, um sich wirkungsvoll für die Rechte politisch Verfolgter und benachteiligter Gruppen in Brasilien einsetzen zu können, nuancenreich und eindrücklich. Sie spielt eine Frau, die sich trotz aller Härten, die sie erleidet, bis zum Schluss nicht entmutigen lässt und an der Größe ihrer Aufgaben wächst.
Tausende von „desaparecidos“, die verhaftet oder entführt, gefoltert und ermordet wurden
Die Familie und ihren Zusammenhalt wird sie niemals aus den Augen verlieren. Auch nach Rubens’ Verschwinden sorgt sie dafür, dass regelmäßig Gruppenbilder mit allen Familienmitgliedern aufgenommen werden. Bei diesen Versuchen, die Gegenwart und ihr Glück festzuhalten, besteht sie stets darauf, dass alle Beteiligten lächeln, auch wenn die Leerstelle im Gruppenfoto vom erlittenen und nie wirklich abgeschlossenen Verlust erzählt. Denn Rubens bleibt verschwunden, wie Tausende von anderen desaparecidos, die verhaftet oder entführt, gefoltert und ermordet wurden.
Für ihre darstellerische Leistung war Torres für einen Oscar nominiert. Sie hätte die Würdigung tatsächlich verdient gehabt. Die Auszeichnung als bester ausländischer Film scheint dagegen fragwürdig. Auch wenn der Verzicht auf Spektakel und Drastik zunächst überzeugt, verfängt die differenzierte Erzählweise auf Dauer nicht. Im Gegensatz zur skandalisierten Konkurrenz von Jacques Audiards EMILIA PÉREZ oder Mohammad Rasoulofs DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS, der mit einer konfliktreicheren und damit lebendigeren Familienkonstellation aufwartet, wagt Salles formal kaum etwas.
Bei allen erschreckenden Parallelen zu heutigen Machtergreifungen und den viel zu lang währenden Versuchen, ihre Auswirkungen zu verdrängen, bleibt seine Erzählung letztlich zu sehr in ruhigem Ästhetizismus gefangen. Sie erzeugt Empathie mit den Handelnden, erhellt das dunkelste Kapitel der brasilianischen Geschichte im vergangenen Jahrhundert aber kaum.
Wie schon in früheren Filmen – insbesondere DIE REISEN DES JUNGEN CHE (2004) über die Erfahrungen, die Ernesto Guevara bei seiner Erkundung des südamerikanischen Kontinents machte, oder der Jack-Kerouac-Verfilmung ON THE ROAD – UNTERWEGS (2012) – gewinnt die Kamera Elend und Ungleichheit durchweg etwas zu dekorative Bilder ab. Wie sich dagegen Verfolgung und Gewalterfahrung etwa da bemerkbar machen, wo Umgangsformen nicht zumindest einen Teil der Härten abfedern, thematisiert auch FÜR IMMER HIER an keiner Stelle. Und er fragt schon gar nicht, woher sich das Böse, das über Brasilien und seine Menschen kommt, speist.
Für immer hier (Brasilien/Frankreich 2024). Buch: Murilo Hauser, Heitor Lorega. Regie: Walter Salles mit: Fernanda Torres, Selton Mello, Valentina Herszage
Vielen Dank an Heike Karen Runge für die Ergänzungen zur persönlichen Verbindung von Regisseur Walter Salles mit der Familie Paiva. Der Artikel ist zuerst im Dschungel vom 13.3.2025 erschienen.