Das Remake als Coverversion

Nicht jedes Kunstwerk erschließt sich sofort und eindeutig; nicht jedes Remake muss die Fehler des von ihm gefeierten Originals wiederholen. Als Luca Guadagnino, zuletzt für seine einfühlsame Reflexion über das Erwachsenwerden und die Suche nach sexueller Orientierung in „Call Me by Your Name“ hochgelobt, seine Adaption des Horrorklassikers „Suspiria“ von Dario Argento in Venedig vorstellte, spaltete er damit die Kritik. Wer nicht von seinem Werk gefangen war, warf ihm vor, verhext und überambitioniert aufgebläht zu sein. Es wurde ausgiebig gebuht.

Argentos „Suspiria“ von 1977 ist ein Film, der von seinen Fans kultisch verehrt wird. Und zwar in erster Linie für seinen exzessiven Umgang mit Licht und Filmblut. In einer Reihe skurriler Mord-Szenen schafft er ikonische Bilder, die sich ins Gedächtnis des eher abseitigen Films eingebrannt haben, wobei die Filmhandlung recht eindimensional bis lächerlich daherkommt – wie übrigens aus heutiger Sicht auch viele der Spezialeffekte.

Von daher ist es auf den ersten Blick durchaus irritierend, dass sich Guadagnino ausgerechnet diesen Stoffes angenommen hat; erstaunlicher aber noch ist, was er daraus macht.

Auch wenn die Ausgangssituation – die junge Tanzschülerin Susie (Dakota Johnson) kommt aus Ohio nach Deutschland und findet ihr Zuhause in einer legendären von Frauen geleiteten Tanzakademie – dieselbe ist wie im Original, merkt man doch schnell, dass hier kein erzählerischer und kinematografischer Stein auf dem anderen bleibt.

Jedes Detail des Drehbuchs von Argento und seiner damaligen Frau Daria Nicolodi hat Guadagnino von seinem Autoren David Kajganich abklopfen und auf mögliche Anschlüsse hin untersuchen, es ausbauen und anreichern lassen. Ebenso hat er die eher leblosen Kulissen des Originals mit Büchern, Zetteln und Alltagsdingen gefüllt. Selten sind die Schauplätze und Interieurs eines Films dermaßen vollgestellt gewesen wie hier.

1977

Guadagnino lässt seinen Film im Erscheinungsjahr des Originals – 1977 – spielen und zwar im geteilten Berlin statt im provinziellen Freiburg. Während bei Argento von Anfang bis Ende knallige Farben für Atmosphäre sorgen, ist es im Remake neben dem grau-verschneeregneten Mauerealltag vor allem die kleinteilige Ausstattung, die den Geist einer Zeit und Gesellschaft im Umbruch einfängt. Die Mauer ist bei Weitem nicht der einzige verschmierte Riss, der durchs Land geht. Es ist Deutscher Herbst, die Narben aus der Nazizeit sind noch nicht verheilt; pausenlos wird demonstriert und über Mogadischu und Stammheim debattiert. Das geht bis hinein ins gegen die zerrüttete Umwelt doch anheimelnde Innere der Tanzakademie.

Dort erweist sich Susie, die ohne alle Referenzen kommt, als Naturtalent. Unter Führung der charismatischen künstlerischen Leiterin Madame Blanc (großartig: Tilda Swinton) nimmt sie schnell eine Schlüsselrolle im Ensemble ein. Während ihres ersten größeren Solo-Tanzes kommt in einem anderen Raum ein abtrünniges Mädchen, das über rhythmische Fernwirkung an Susies Bewegungen gekoppelt scheint, unter Schmerzen ums Leben. (Diese Szene hat in Venedig den Berichten nach einen Teil des Publikums aus dem Saal getrieben. Aber es lohnt sich, diese Schwelle zu überwinden.)

Eher beiläufig stellt sich nach und nach heraus, dass die Akademie einen Vergemeinschaftungszusammenhangs beherbergt, der sehr viel älter ist als das ihn umgebende kaputte Patriarchat. Die Hexen, die ihn beherrschen, haben bereits die Nazis und jede Menge älterer Schreckensregime überdauert und warten nun auf die anstehende zyklische Erneuerung. Gern bei langen nächtlichen Gelangen in der Paris Bar, in der Hauptsache aber bei der Pflege des (im inszenatorischen Zusammenhang klar von Pina Bausch inspirierten) Tanzes. Der wird zum okkulten Ritual, zur betörenden Gegenwelt – auch und gerade in Konkurrenz zum politischen Kampf.

Albtraum, Analogie und Ambivalenz

Neben Susie heftet sich der Film einem zweiten Protagonisten an die Fersen: dem von Jung inspirierten Psychiater Dr. Jozef Klemperer (Lutz Ebersdorf aka noch einmal Tilda Swinton). Zu ihm hat sich gleich zu Beginn eine weitere Akademiedissidentin – Patricia (Chloë Grace Moretz) – geflüchtet und ihm von den Machenschaften in der Schule berichtet. Statt ihr Aussage jedoch für bare Münze zu nehmen, versucht Dr. Klemperer zunächst, ihr Erleben nach der Archetypen-Lehre seines Meisters zu dechiffrieren. Bis Patricia verschwunden bleibt, der Psychiater beginnt, sich Sorgen zu machen, und Nachforschungen anstellt.

Alles in Guadagninos Film ist ambivalent, funktioniert über Assoziationen und Analogien. So ähnelt der Stern der RAF dem Boden- und Orientierungs-Pentagramm im getanzten Stück „Volk“, das Madame Blanc zuerst 1948 unter dem Eindruck von Krieg und Verfolgung entwickelt haben soll. Mit seiner Rolle in diesen geschichtlichen Großereignissen wiederum hadert besonders Dr. Klemperer. Und die Beziehung von Susie und ihrer Mutter spiegelt die zwischen Hexen und Elevinnen und wird gar bis zu „Mutter Meinhof“ hin strapaziert.

Bis zum dann doch albtraumhaft blutgetränkten und überraschend überraschenden Finale im großen Hexensabbat (dem noch ein Epilog in der Gegenwart folgt) – trägt Guadagninon so in sechs Akten Massen an Material zur Brutalität des Lebens als Frau zusammen, arbeitet mit Andeutungen und Stimmungen, macht persönliche wie kollektive Verletzungen und Brüche spürbar und verweigert Kommentare und Erklärungen. Dabei vergisst er mit der Besetzung von Ingrid Caven, Angela Winkler und Jessica Harper auch nicht, sich vor weiteren frei gewählten Kunst- bzw. Film-Familien der damaligen Zeit zu verbeugen.

Das alles kann man überfrachtet finden. Oder man versteht es als offen und anschlussfähig für (auch aktuelle) Fragen. Als Reflexion über die Zweischneidigkeit von Fürsorge, Macht, Verdrängung und Opferbereitschaft. Schiffsladungen von Seminararbeiten sind hier zu erwarten (oder wären es in den Neunzigern gewesen). In der Neuauflage jedenfalls ist „Suspiria“ tatsächlich ein Film geworden, den mehrfach zu sehen sich lohnen sollte.