An einem Flussufer im ländlichen China wird eine ältere Frau ermordet. Die Untersuchung des Falls leitet Ma Zhe (Zhu Yilong), der Chefermittler der örtlichen Kriminalpolizei. Schnell gerät der ortsansässige Verrückte in den Fokus seiner Nachforschungen. Der freundlich wirkende, sprachlose Mann lässt sich widerstandslos festnehmen. Doch während der lokale Polizeichef (Hou Tianlai) schon die Aufklärung des Falls bekanntgeben will, wachsen bei Ma Zhe Zweifel daran, dass hier alles so einfach ist, wie es scheint. Stimmaufnahmen auf einer bei der Leiche gefundenen Musikkassette führen ihn auf eine neue Spur, und bald gibt es weitere Tote.

Ma Zhe (Zhu Yilong) verliert sich beim Ermitteln in nostalgische Bilder. Foto: © Lian Ray Pictures. Fotoquelle: Rapid Eye Movies

Neo Noir mit kulturpolitischer Dimension

Angesiedelt in einer von Dauerregen und Verfall geprägten Umgebung stößt der Ermittler auf Menschen, die jedes Abweichen von der Norm schamhaft zu verbergen suchen. Es sind die 1990er Jahre, die Niederschlagung der Demokratiebewegung liegt noch nicht weit zurück. Als gesamtgesellschaftliches Ziel auch in der Provinz gilt die wirtschaftliche Erneuerung durch eine sozialistische Marktwirtschaft. Zum Gelingen dieses Projekts haben alle beizutragen. Weder heimlichen Affären noch sexuelle Devianz dürfen das Bild stören, in dem jeder individuelle Erfolg vor allem die Ehre des Kollektivs vergrößern soll.

Auch von Ma Zhe und seiner Abteilung wird verlangt, letzterer zuzuarbeiten. In einer seiner zahlreichen Motivationsansprache weist der Polizeichef darauf hin, dass das zurückliegende Jahr ein gutes war. Aus dieser Feststellung kann im Sinne von Verwaltung und Partei selbstverständlich nur folgen, dass das nächste noch ruhmreicher werden muss – lebt man doch in Zeiten, in denen selbst Natur und Familienplanung staatlicherseits organisier- und beherrschbar scheinen. Wichtiger, als Beweisketten und die Aussagekraft von Indizien anzuzweifeln, scheint es da, einfache, klare Entscheidungen zu treffen und offensichtliche Täter dingfest zu machen.

Dagegen empfindet Ma Zhe zunehmend Verständnis für die Motivlagen aller Verdächtigen, mit denen er in Kontakt kommt. Statt dem vorgegebenen Kurs zu folgen, verliert er sich in Details, die ihm den Fall immer rätselhafter erscheinen lassen. Sehr zum Unwillen seiner uniformierten Vorgesetzten, die es lieber sähen, er würde sich mit einem Erfolg um Verdienstorden bewerben, muss er Mal um Mal berichten, dass er nicht weiterkommt.

Romanverfilmung mit Bezug zur Philosophie des Absurden

Wei Shujuns Verfilmung einer Romanvorlage des avantgardistischen, in China äußerst erfolgreichen Schriftstellers Yu Hua ist ein stimmungsvoller, fließender Neo Noir. Wie in vielen gelungenen Werken dieses Genres dient die Kriminalhandlung vor allem dazu, das Bild einer Welt zu zeichnen, in der der Mensch den Volten des Schicksals umso verständnisloser gegenübersteht, je mehr er sich bemüht, sie zu ergründen.

Wie ein dem Film vorangestelltes Zitat des Schriftstellerphilosophen Albert Camus besagt, gibt es angesichts der allgegenwärtigen Absurdität nur zwei Möglichkeiten: entweder man kapituliert oder spielt selbst Schicksal und legt das „alberne, unlesbare Gesicht Gottes“ an. Eine Option, die von vornherein in Richtung Hybris und Wahn weist.

Während Ma Zhe, oft von elegischer Klaviermusik getragen, weiter und weiter dem labyrinthischen Pfad seiner Ermittlungen folgt, wird sein Ausdruck in der Tat von Szene zu Szene apathischer. Dazu verschärft sich für den Polizisten auch zu Hause die Lage: Zusammen mit seiner schwangeren Frau erfährt er, dass das Kind, das sie erwarten, mit einer zehnprozentigen Chance behindert auf die Welt kommen könnte. Das ist wohl nie eine erfreuliche Vorstellung, in einem Land, in dem eine rigide Ein-Kind-Politik herrscht, ist sie allerdings umso schwerer zu akzeptieren.

Kino und Verbrechen

Auf den Druck von allen Seiten folgt beinahe zwangsläufig das Abdriften ins Wahnhafte. Zwar versucht Ma Zhe, sich durch eine Kündigung zu retten. Doch als die abgelehnt wird, beginnen ihn auf Schritt und Tritt Halluzinationen zu verfolgen, in denen seine Verdächtigen und er einander bedrohen und umbringen. Dass sein improvisiertes Büro in einem alten Kino untergebracht ist, erweist sich als wenig hilfreich, um klarer zu sehen. Erzählerisch allerdings handelt es sich bei diesem Setting um einen von vielen schönen Einfällen, die äußere Realität und traumatisches Innenleben des Protagonisten in eins fallen lassen.

In kontrastreichen, bis ins Kleinste durchkomponierten Bildern in rauer 16-Milimeter-Optik lässt der Film seine Charaktere unter schweren Wolkenhimmeln ihrem Los entgegentaumeln. Gewaltszenen werden in seinem langsamen ruhigen Fluss zwar vorbereitet und angedeutet, aber nie in ihrer Drastik gezeigt. Die Last, die das Leben unter den Bevormundungen des Kollektivs und seinen Erwartungen für die Einzelnen bedeutet, bricht sich bei aller Lethargie immer wieder auch in grotesken Situationen und absurder Komik Bahn. Zum Beispiel wenn sich als Haupttalente eines Polizisten sein schöner Gesang und die Fähigkeit zum Spagat erweisen.

Als Ma Zhe nach vielen Zufällen, Irrungen und Wirrungen doch irgendwann offiziell für seine Verdienste mit Orden behängt wird, könnte der Kontrast zu seinem Empfinden kaum größer sein.

Only the River Flows, Regie: Wei Shujun (101 min) mit Zhu Yilong, Chloe Maayan, Hou Tianlai u. a.