Ob Bates Motel oder Blue Hotel: Absteigen abseits einsamer Highways sind ein geläufiger Topos in Kino und Popkultur. Sie bieten in ihrer Anonymität Zuflucht, meist aber erweist sich diese schnell als trügerisch. Hat man sie einmal betreten, befindet man sich fortan in den Fängen des Schicksals. „You can check out any time you like, but you can never leave”, sangen schon die Eagles in ihrem Welthit über das “Hotel California”.

Elias (Fábio Assunção), der Motelchef, und Heraldo (Iago Xavier) begeben sich in ein gefährliches Machtspiel. Foto: © Santoro

Selten ist diese Ambivalenz in knalligere Primärfarben gebannt worden als in Karim Aïnouz Erotikthriller „Motel Destino“. Der nimmt das wenig subtile Treiben im titelgebenden Hauptspielort wichtiger als den Thrill, der sich aus den kriminellen Anteilen der Handlung ergeben könnte. Aber auch das gehört zum Wesen des Motels: Es ist der Ort für schnellen illegitimen Sex. Seine anonymen Flure und Zimmer sind erfüllt von stetigem Gestöhne und Gehechel.

Chefinnen und Träumer

Außer es ist gerade Zeit, die Betten abzuziehen und alles weiträumig zu desinfizieren. Das erledigt Dayana (Nataly Rocha) weitgehend allein, obwohl sie nicht nur die Frau des Motelchefs Elias (Fábio Assunção) ist, sondern auch die Miteigentümerin des „Destino“. Bis sie mit Heraldo (Iago Xavier), einem 21jährigen Träumer aus der Gegend, unverhofft einen willfährigen Helfer und Gespielen erhält.

Heraldo hat sein bisheriges Leben im gleißenden Licht brasilianischer Dünenstrände verbracht. Dennoch möchte er die gewalttätig kriminellen Verhältnisse, in denen er mit seinem vier Jahre älterem Bruder aufgewachsen ist, hinter sich lassen. Die altbekannte Bedingung der Clanchefin: ein letzter Coup. Vorher allerdings steigt er für eine wilde Nacht mit einer Schönen, die er gerade kennengelernt hat, im billigsten Zimmer des Motel Destino ab.

Dort erweist sich die Frau zwar als willige Sexpartnerin, jedoch keinesfalls als große Liebe. Stattdessen lässt sie ihn um seine Barschaft erleichtert betäubt und eingeschlossen im Zimmer zurück. Mit der fatalen Folge, dass Heraldo seinen Job, den Überfall auf den Chef einer rivalisierenden Bande, im Wortsinn verschläft. Was dazu führt, dass sein Bruder erschossen auf der Straße liegt, bevor er zur Stelle ist. Fortan sind (bisherige) Freunde wie Feinde hinter ihm her.

Lethargie und Patenschaften

Wohl auch weil er zu lethargisch ist, um viel weiterzudenken, kriecht Heraldo im Motel Destino bei Dayana unter. Wie es kommen muss, findet sie Gefallen an dem leicht verirrt wirkenden körperbetonten jungen Mann und sie beginnen eine Affäre in den Nischen und Schatten der in Neonfarben getauchten Zimmer.

Auch Elias entwickelt bald Gefühle für Heraldo, die über die Freude am Nutzen hinausgehen, den ihm dessen Fähigkeiten bei kleinen Reparaturen und sonstigen Hilfen bringen. Doch Heraldo ist sehr klar nur an Dayana interessiert. Die wiederum sieht in ihm die Chance, ihren Mann loszuwerden, indem sie ihn gemeinsam umbringen. Bob Rafelsons „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ (1981) lässt grüßen, aber auch andere Noirs und Neo Noirs haben sichtlich Pate gestanden.

So kennt man ähnliche Einsätze von Farben und Kontrasten aus italienischen Gialli der 70er Jahre. Solche zwischen Thriller und vulgärpsychologisch grundiertem Horror changierenden Genrefilme waren neben Gewaltdarstellungen insbesondere auf erotischen Schauwert aus. Allerdings führte dieser voyeuristische Aspekt vielfach dazu, dass Werke von Regisseuren wie Dario Argento oder Mario Bava kaum einmal aus der Schmuddelecke reaktionärer Softpornos heraustraten – trotz hochkarätiger Besetzung und epochaler Filmmusiken.

Stilisierung und Naturalismus

Bei „Motel Destino“ schließen nicht zuletzt die so präzisen wie flirrend bunten Bilder der Kamerafrau Hélène Louvart an diese Tradition an. Neben Aïnouz vorherigen Werken hat sie unter anderem bereits Filme von Agnès Varda, Wim Wenders und Alice Rohrwacher fotografiert. Ihre grandiosen Tableaus eröffnen auch hier der Inszenierung den schillernden Rahmen.

Dann aber ist es vor allem das Spiel der drei Hauptdarsteller, das der fast ein wenig einfältigen Erzählung die Prise Wahrhaftigkeit hinzufügt, die den Unterschied zum Standard macht. Ihre schweißtreibende, bisweilen rohe Körperlichkeit wird, vor allem beim ungestümen Sex wenig idealisiert, manchmal sogar schmerzlich in Szene gesetzt. Etwa wenn Heraldo gierig Dayanas Brüste knetet, als wäre es das erste Mal, das er in eine vergleichbare Situation kommt.

Dieser Naturalismus verleiht der Figurenzeichnung tatsächlich eine ganz eigene Tiefe. Aus Abziehbildern werden mit spezifisch ausgeformten Begehren und Defiziten ausgestattete Menschen, mit denen man bei aller Einfältigkeit mitleidet.

Zwischen strahlendem Licht, blauem Meer und Nachtschatten fängt Aïnouz am Ende mehr ein als die Deformationen und möglicherweise naiven Hoffnungen seiner Charaktere. Seine Interpretation eines Genrefilms ist grell und bis in die Details von Ausstattung, Kostüm und Maske – Stichwort: (Gesichts-)Tattoos – zeitgenössisch. So gelingt ihm – auch – eine Bestandsaufnahme der Zerrissenheit einer Gesellschaft im Kraftfeld von Kriminalität und Aufbruchsphantasien, Lethargie und Lebensfreude.

Motel Destino, Regie: Karim Aïnouz (115 min) mit Iago Xavier, Nataly Rocha, Fábio Assunção u. a.